Gaelen Foley - Knight 02
Alice, ob er wohl wegen ihrer Ungeschicklichkeit zor- nig war, sie war aber zu bekümmert, um ihn direkt zu fra- gen. Sie gehorchte widerspruchslos. Er nahm sie in die Ar- me und richtete sich mit ihr auf. Dann machte er sich an den Aufstieg, sicheren Schritts und unermüdlich. Anfangs war sie nervös, obwohl sie natürlich wusste, dass sie den Hügel mit ihrem Knie nie hätte bewältigen können, doch nach ei- niger Zeit merkte sie, dass sie in guten Händen war. Lucien ging mit gesenktem Kopf, um gegen den Regen geschützt zu sein, aber sie spürte die Kraft in seinem Körper, die sie schützend umgab, während er sie sicher durch Wind und Sturm trug.
Ehrfürchtig und dankbar betrachtete sie ihn. Seine Wan- gen waren rot vor Kälte, und sein schwarzes Haar war klatschnass. Oben auf dem Hügel hielt er kurz an, um zu verschnaufen, und dann marschierte er mit neuer Kraft wei- ter. Die Arme um seinen Hals geschlungen, lehnte sie den Kopf an seine Schulter und schmiegte sich bei jedem Don- nerschlag enger an ihn. Endlich hatten sie den Ausblickfel- sen erreicht. Alice runzelte die Stirn, als er darauf zuging.
„Lucien, jetzt im Moment möchte ich die Aussicht eigent- lich nicht bewundern ...“
„Psst, seien Sie still.“
Der Regen prasselte auf sie nieder, während er über den Hügel fegte. Ihr war klar, dass der Kalkstein unter seinen Füßen rutschig sein musste. Bevor sie ihn fragen konnte, was er da tat, hatte er schon einen gefährlichen kleinen Pfad betreten, der sich am Abhang entlangschlängelte und der ihr zuvor gar nicht aufgefallen war. Es ging fast senkrecht hinunter. Sie riss die Augen auf und klammerte sich an Lu- cien, denn unter ihnen lag der Abgrund. Ein Stück weiter unten entdeckte sie einen Felsabsatz, zu dem sie offensicht- lich unterwegs waren. Sicher ein Unterschlupf, dachte sie,
aber lieber Gott, wenn Lucien jetzt ausrutscht, wenn er ei- ne falsche Bewegung macht, sind wir beide verloren. Allein hätte er sich vielleicht noch irgendwo festhalten können, aber mit ihr im Arm würden sie beide unweigerlich abstür- zen.
Lucien schien sich keine Sorgen zu machen. Zwei oder drei Mal hielt sie noch vor Schreck den Atem an, und dann hatte er den sicheren Felsabsatz erreicht.
Als er sie sanft auf die Füße stellte, starrte Alice ihn an, immer noch zu verstört, um ihm wegen der ausgestandenen Todesängste Vorwürfe zu machen.
„Schauen Sie“, sagte er und wies auf eine Stelle hinter ihr. Seine silbergrauen Augen glänzten, sein Gesicht war schlammbespritzt.
Sie drehte sich um und entdeckte, dass der Felsabsatz in eine Höhle überging. Der Ausblickfelsen bildete eine Art überhängendes Dach.
„Es ist mit Revell Court über die Grotte verbunden“, er- klärte Lucien schwer atmend. „Dort drin ist es stockdunkel, aber wenigstens sind wir dort vor den tobenden Elementen sicher. Wie geht es Ihrer Schulter?“
„Sie tut weh.“
Er runzelte die Stirn, schob sich durch den Höhleneingang und zündete eine Laterne an, während Alice dastand und vor Kälte zitterte. Er hob die Laterne und streckte der jun- gen Frau die Hand entgegen.
„Glauben Sie, dass Sie laufen können, oder soll ich Sie tragen?“
„Ich kann gehen. Mein Knie schmerzt nicht mehr so stark.“
„Stützen Sie sich auf mich, wenn es nötig wird. Wir haben noch zwanzig Minuten Fußmarsch vor uns.“
„Es ist so dunkel hier“, murmelte Alice und hängte sich bei ihm ein, während sie den Felsengang hinuntersah. Der schwache Schein der Laterne reichte kaum einen Fuß weit.
„Haben Sie keine Angst“, flüsterte er. Er zog den Mantel aus und legte ihn ihr über die Schultern.
„Lucien, Sie brauchen Ihren Mantel doch“, protestierte sie. „Sie holen sich noch den Tod ...“
„Psst. Sie klappern ja schon mit den Zähnen. Lassen Sie uns gehen. Halten Sie sich dicht bei mir.“
Sie gehorchte, genoss die Körperwärme, die sich immer noch in dem schweren Wollmantel hielt.
„Bewegen Sie sich vorsichtig vorwärts“, wies er sie an und hielt die Laterne höher.
Sie verschwanden in dem dunklen Loch, als hätte der Berg sie verschluckt, kämpften sich durch den feuchten, glitschigen Spalt. Alice zuckte zusammen, als sie irgendet- was herumflattern hörte. Sie brauchte nicht zu fragen, wo- rum es sich handelte.
„Was ist Ihr Lieblingslied?“ erkundigte sich Lucien fröh- lich, der ihre Unruhe spürte.
„Äh, ich weiß nicht. Warum?“
„Nun, soweit ich weiß, hat jede wohlerzogene junge Dame wenigstens ein
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