Gaelen Foley - Knight 03
im Kopf.
Lucien war seit drei Wochen verheiratet und lebte mit seiner Braut Alice in Hampshire, zwei Stunden von Da- miens baufälligem Herrenhaus entfernt, das ihm das Par- lament zusammen mit dem Earlstitel verliehen hatte. Nicht dass Damien viel über das Leben eines Earls gewusst hätte, stattdessen hatte er eher den Eindruck gewonnen, dass ihn diese Position zum Diener des Politikerpacks ge- macht hätte. Er hob das letzte Holzscheit auf, legte es zu dem Rest und warf dann einen unsicheren Blick auf das heruntergekommene, zugewachsene Herrenhaus. Bayley House war etwa 1760 im Stil eines griechischen Tempels aus weißgrauem Kalkstein errichtet worden, mit einem dreieckigen Ziergiebel auf vier mächtigen Säulen. Damien fand, es sehe einem Mausoleum zum Verwechseln ähnlich. Im Inneren fühlte es sich auch so an, weite, leere Räume, ohne jede Möbel und so kalt, dass man dort Leichen hätte aufbahren können. Fast hätte er glauben mögen, es spuke in dem Haus, doch wusste er, dass die einzigen Geister dort seine eigenen waren. Er besaß weder genügend Geld, um
das Haus richtig auszustatten, noch war ihm sonderlich daran gelegen. Seine Veranlagung war eher spartanisch, er brauchte keinen Luxus.
Als er im November kurz nach dem Guy-Fawkes-Abend hier angekommen war, hatte er einfach sein Lager in der Nähe des Kaminfeuers im einstigen Salon aufgeschlagen. Seine Offiziersfreunde aus der Armee – diejenigen, die überlebt hatten – waren alle zu ihren Familien zurückge- kehrt, aber zumindest blieb ihm noch seine Ausrüstung, je- ne sechzig Pfund Gepäck, die er Hunderte von Meilen durch Portugal und Spanien geschleppt hatte. Die Sachen trösteten ihn. Das verlässliche Zelt, sein zerbeultes Essge- schirr und die hölzerne Wasserflasche, dazu seinen Mantel als Decke und den Rucksack als Kissen, ein Stück Käse, ei- nen Zwieback und eine Wurst, ein paar Zigarren: Viel mehr brauchte ein Soldat nicht zum Leben, höchstens noch Schnaps und Huren, doch das hatte Damien aufgegeben, weil er hoffte, seinem angegriffenen Verstand durch eine asketische Lebensweise aufzuhelfen.
Verdammt noch mal, dachte er mit einem sehnsüchtigen Seufzer, die Weiber vermisse ich hundert Mal mehr als den Gin. Lucien konnte seine vornehme Lady behalten, Da- mien zog Huren vor, die genau wussten, wie man mit einem Soldaten umging. Schon bei dem Gedanken an eine wei- che, willige Frau erwachte sein ausgehungerter Körper, doch er ignorierte das heftige Verlangen nach Erlösung und legte die Axt beiseite. Er durfte nichts riskieren, was sein unsicheres Gleichgewicht stören könnte.
Unter den Hufen des Rappen flog der Schnee auf, als Lu- cien schließlich vor seinem Bruder Halt machte. Er glühte vor Kälte, und aus seinen silbergrauen Augen strahlte das Glück des frisch Vermählten. Einen Augenblick noch blieb er im Sattel sitzen, schüttelte den Kopf und betrachtete Damien. „O mein armer, lieber Bruder“, sagte er mit einem leisen Lachen.
„Was?“ knurrte Damien finster.
„Was für ein reizender ländlicher Anblick. Du siehst aus wie ein Einsiedler im Wald. Vielleicht Lancelot, nachdem er Mönch geworden war.“
Damien schnaubte. „Hat sie dich also aus ihren Fängen entlassen. Wie lang hast du denn Ausgang?“
„Nur so lang, bis meiner holden Gattin einfällt, wie sehr sie mich anbetet. Damit mich bei der Rückkehr ein entspre- chendes Willkommen erwartet.“ Mit wehendem schwar- zen Mantel stieg er ab. Wie immer war er elegant und an- mutig, ein Diplomat vom Scheitel bis zur Sohle. Lucien überreichte Damien eine Zeitung. „Ich dachte, dich inte- ressiert vielleicht, was in der Welt vor sich geht.“
„Ist Napoleon noch auf Elba unter Verschluss?“
„Natürlich.“
„Mehr brauche ich nicht zu wissen.“
„Na, dann verfeuer die Zeitung eben, obwohl du auf die- sem Gebiet ja anscheinend gut versorgt bist. Planst du ei- ne Hexenverbrennung?“ Mit schiefem Blick schaute Lu- cien auf den Riesenberg Holz.
Damien nahm die gestrige Ausgabe der Times ohne wei- teren Kommentar entgegen.
Lucien musterte seinen Bruder scharf. „Wie geht es dir denn?“ erkundigte er sich sanfter.
Damien zuckte mit den Schultern und wandte sich ab, von seiner Besorgnis aus der Fassung gebracht. „Es ist ru- hig hier. Das gefällt mir.“
„Und?“ Lucien wartete darauf, dass er etwas über seine geistige Verfassung sagen würde, doch Damien wich so- wohl der indirekten Frage als auch dem Blick seines Bru- ders aus.
„Natürlich muss
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