Gaelen Foley - Knight 04
zum Hauptquartier der Bande schweifen. O’Dell wusste nicht, dass das alte Kutschenhaus durch einen der vielen Geheim- gänge, die es in der Unterwelt Londons gab, mit dem Haupt- quartier verbunden war.
Als Junge hatte Blade sich so viele wie möglich davon ein- geprägt. Er hatte rasch begriffen, dass Diebe entgegen der allgemeinen Auffassung alles andere als faul waren. Über Generationen hatten die Verbrecher von London die Stadt mit einem Labyrinth an Geheimgängen überzogen, und da- zu kamen verborgene Einstiege zwischen zwei Gebäuden, versteckte Leitern und Hohlräume in Mauern, die gerade groß genug für einen Mann waren und über denen Plakate lose an der Wand hingen, so dass man sich im Notfall schnell dahinter verstecken konnte. Es gab geheime Keller, Kriech- gänge, doppelte Rückwände in Schränken, Falltüren im Bo- den, die auf eine Seitenstraße führten – alle nur zu dem ei- nen Zweck erdacht, einem Dieb den Fluchtweg offen zu hal- ten.
Er könnte sein Wissen nutzen, um in das Hauptquartier zu gelangen und wieder hinaus, ehe die Jackals auch nur ahn- ten, dass er da gewesen war.
Blade zog sein Messer und glitt in den Schatten.
Wenig später schlich er durch das Schweigen des Kut- schenhauses. Nur ein winziger Lichtschein fiel von außen durch die Fenster, aber er kannte den Weg. Staub hing in der Luft, und auf dem Gerümpel in den Ecken liefen die Ratten herum.
Rackford klemmte sich sein Messer zwisch en die Zähne und kletterte die alte Holzleiter zum Dachboden hinauf. Ein paar Meter weiter führte eine Dachluke genau in die Räu- berfestung, in der jetzt O’Dell das Sagen hatte.
Rackford wählte seine Opfer einerseits zufällig, anderer- seits strategisch aus. Er musste sich Zimmer suchen, in die er leicht eindringen konnte, aber er handelte nur, wenn er darin mächtige Vertreter der Jackals vorfand.
Der Erste, den er antraf, war Flash, „der Gutaussehende“, wie er genannt wurde. Der schwarzhaarige, blauäugige Mann sang gerade vor dem Spiegel ein zweideutiges Schanklied und kämmte sich dabei die Koteletten. Unbe- merkt angelte Blade sich die große goldene Taschenuhr von der Kommode, die Flash ohne Zweifel einem Mann auf der Straße gestohlen hatte. Der junge Mann unterbrach sein Lied, inspizierte gründlich seine Nasenhaare und sang dann weiter. Mit klopfendem Herzen zog Rackford sich wieder zurück. Er war sich dessen bewusst, dass er sich in Gefahr brachte, aber es machte ihm Spaß.
In einem anderen Raum fand er den zweiten Jackal, den er in seine Intrige hineinwob, den berüchtigten Riesen Bau- mer. Der übergroße Affe mit seiner wulstigen Nase und der zotteligen Mähne befand sich gerade in einem erotischen Ansturm auf eine dralle Hure, die so gebaut war, dass sie für seinen Angriff gut gerüstet war. Beide grunzten und waren so in ihr Vergnügen vertieft, dass sie nicht bemerkten, wie Blade sich in den nur schwach erleuchteten Raum schlich. Rackford ging leise zu dem Haufen Kleider in der Ecke, griff sich Baumers Geldbörse und legte stattdessen die Uhr von Flash zu Baumers Sachen. Dann riskierte er einen Blick über die Schulter und hörte, dass Baumers Keuchen hefti- ger wurde. Schnell verließ er das Zimmer und wünschte sich nur, Baumers Gesicht sehen zu können, wenn er gleich die Hure bezahlen wollte.
Das letzte Zimmer lag abgeschieden im obersten Stock
und gehörte dem seltsamsten Mitglied der Bande, dem Blu- tigen Fred. Selbst O’Dell hatte ein bisschen Angst vor Fred, der schon mehrmals Insasse der Irrenanstalt Bedlam gewe- sen war. Niemand war auf dem Flur, denn um Freddie mach- ten alle einen großen Bogen.
Als Rackford Opiumrauch roch, wusste er, dass er es ver- suchen musste. Der große Baumer gegen den Blutigen Fred – perfekt.
Kurz darauf öffnete er die Tür und betrat lässig das Zim- mer.
Der drahtige kleine Mann mit den roten Haaren und ei- nem Kinnbart saß auf dem Boden und starrte blicklos vor sich hin. Neben ihm lag eine türkische Wasserpfeife. Müh- sam wandte der Blutige Fred den Kopf und versuchte, den Eindringling anzusehen.
„Hallo, Fred“, grüßte Rackford freundlich und achtete darauf, keine plötzlichen Bewegungen zu machen.
„Blade?“ Überraschung spiegelte sich auf Freds weißem, spitzem Gesicht wider. „Dachte, du wärst tot.“
„Das bin ich ja auch“, erwiderte Rackford. „Deshalb bin ich hier.“
„Ein ... ein Geist?“ Der berauschte Mann wich zurück. „Bleib mir vom Leib!“
„Hab keine Angst, Freddie. Ich
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