Gaelen Foley - Knight 06
dort herausbrin- gen. Und wenn es das Letzte war, was er in seinem Leben tun konnte, er würde einen Weg finden.
Wortlos deutete Eva auf einen Weg, der vor ihnen rechts ab- ging. Von Unkraut überwuchert, wand er sich durch dichte Wäl- der einen steilen Hügel hinauf.
Das Gesicht angespannt und mit Staub bedeckt, lenkte Alec sein Pferd um die scharfe Kurve.
Die Baroness jedoch ritt weiter den Hauptweg entlang. Als ihre Wege sich trennten, warf sie einen letzten Blick über die Schulter zurück. Alec stieg weiter den Hügel hinauf, Eva je- doch, die Überlebenskünstlerin, galoppierte bis zur nächsten Hafenstadt, um von dort aus zu fliehen.
Alec schnalzte, um sein Pferd weiter anzutreiben, presste die Waden an die Flanken und setzte seinen Weg allein fort.
Als Becky nach mehreren Minuten das Bewusstsein wiederer- langte und die Augen öffnete, schien der Raum noch immer zu schwanken. Die Tür war geschlossen, Michail gegangen. End- lich war sie allein.
Auf einmal wusste sie wieder alles. Alec war unterwegs zu ihr, und wenn er ankam, würden sie ihn töten. Furcht packte sie. Sie musste fliehen.
Mühsam setzte sie sich auf, bewegte die schmerzenden Schul- tern und beugte sich vor, sodass sie durch die gefesselten Arme steigen konnte. Mit den Zähnen zerrte sie am Strick, bis sich der Knoten mehr und mehr zu lösen begann, während ihr Blick auf die ungeladene Pistole gerichtet war, die Michail zurückgelas- sen hatte. Die Kugel war weggerollt, aber sie sah genau, wo sie
im Staub lag.
Sie hörte, wie die Männer im Raum nebenan stritten. Sie hatte keine Ahnung, worum es ging, aber mehrmals hörte sie ein Wort, das wie „Nelyudow“ klang. Was das bedeutete, wusste sie nicht, und es war ihr auch egal. Sie wollte nur fliehen, ehe Alec in die Falle ging. Sich zu befreien war die einzige Möglichkeit, ihm zu helfen. Hoffnung keimte in ihr auf.
Schließlich gelang es ihr, die Fesseln abzustreifen. Sofort griff sie zur Pistole und holte die Kugel aus der Rille. Beides tat sie voller Abscheu, als sie sich daran erinnerte, zu welchem Zweck Michail die Waffe vorher hatte nutzen wollen. Sie schob die Ku- gel in den Lauf zurück und überprüfte das Schießpulver. Dann nahm sie behutsam, als zusätzlichen Schutz, Lady Campions Phiole mit der Säure an sich und schlich lautlos zum offenen Fenster.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Sie fuhr herum. Es war Michail, der ihr zugesehen hatte, wie sie zum Fenster geeilt war.
Sie richtete die Waffe auf ihn. „Bleib zurück.“
„Sie ist nicht geladen.“
„Jetzt schon.“
„Ah, du kannst keinen ordentlichen Knicks machen, aber du weißt, wie man eine Waffe lädt. Das passt. Nun, ich hoffe, du bist eine gute Schützin, denn du hast nur eine Kugel. Glaubst du, du kannst mich treffen?“
Sie spannte den Abzug. „Probier es aus.“
„Du hast mir eine Menge Ärger bereitet, Rebecca. Wie ich hör- te, ist es dir gelungen, zu Westland zu kommen. Leugne es nicht. Sie sind jetzt hinter mir her, und das ist alles deine Schuld.“
Michail brüllte seinen Männern einen Befehl zu. Sofort ström- ten die Kosaken in den Raum. Er deutete auf Becky, die mit dem Rücken zum Fenster stand. Voller Unbehagen sah sie zu, wie die Krieger sie umringten, doch ihre Gedanken waren schon weiter. Wenn der Duke of Westland aufgrund ihres Berichts etwas un- ternommen hatte – wenn man Michail suchte, wie er es behaup- tete –, dann war sie nicht mehr nur eine Gefangene. Dann war sie eine Geisel, und sie brauchten sie lebend.
Der Prinz rief einen weiteren Befehl, und langsam kreisten die Kosaken sie immer dichter ein. Becky vermutete, dass er ih- nen befohlen hatte, sie zu entwaffnen. Sie bewegte die Pistole hin und her, um sie alle gleichzeitig in Schach zu halten.
„Es gefällt dir, ihr Leben zu opfern, nicht wahr?“, rief sie he- rausfordernd ihrem Cousin zu, den Blick auf seine Männer ge- richtet. „Warum versuchst du nicht selbst, mir die Waffe zu ent- wenden, und siehst, wohin dich das führt?“
Den Fluchtweg so nahe zu wissen, war verlockend, doch sie fürchtete, dass das umständliche Herausklettern aus dem Fens- ter es den Kosaken leicht machen würde, sie zu ergreifen. Und wenn sie davonlief, würde man nicht zögern, ihr in den Rücken zu schießen.
Da hörte sie, wie ein Reiter im Galopp den Hügel nahm und dann zur Lichtung vor dem Cottage preschte.
„Aha“, murmelte Michail, wobei er lächelnd den Kopf hob. Ein grausamer Glanz war in seinen Augen zu erkennen.
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