Gänseblümchen - Mein glückliches Leben mit meinem behinderten Sohn (retail)
normalen Bereich weiter, etwas langsamer zwar, aber immer noch weiter voran. Mit seiner Schwester ging er liebevoll um, so gut es für ihn eben möglich war. Bei stürmischen Begrüßungen zum Beispiel war es ihm nicht möglich, seine unbändige Kraft zu kontrollieren – und Begrüßungen liebte er. Ich war dennoch nicht zufrieden und hörte mich um. Ich fand einen wirklich guten Homöopathen. Nicht nur, dass dieser schulmedizinische Medikamente akzeptierte, sondern er war sogar auf das Gebiet der Epilepsie spezialisiert. Andreas tat die homöopathische Medikation gut. Aber wie immer war bei ihm alles eine Frage der Zeit.
Nach einigen Wochen veränderten sich die Anfälle dramatisch und er hatte vor und nach einem Anfall halbseitige Lähmungen. Er steigerte sich auf teilweise fünf große generalisierte Anfälle pro Tag.
Der Homöopath lehnte eine weitere Behandlung mit der Begründung ab, dass das erst abgeklärt werden müsse.
Also packten wir wieder unsere Koffer und fuhren in Richtung Erlangen davon. Da ich den letzten Aufenthalt abgebrochen und an der Qualifikation zweier Ärzte gezweifelt hatte, wollte ich im Vorfeld erst einmal abklären, ob ich gesteinigt werden würde, wenn ich wiederkäme. Ich nahm mit Ulli Kontakt auf, der gerade von der Bundeswehr zurück war, wo er seinen Wehrdienst geleistet hatte. Ich enthalte mich an dieser Stelle jeden Kommentars, was ich darüber denke, einen fertigen Facharzt für Kinderneurologie, der obendrein verheiratet und inzwischen Vater war, zur Bundeswehr einzuziehen.
Ich erzählte Ulli wie es Andreas ging und fragte, ob nach meinem fluchtartigen Verlassen der Klinik eine Rückkehr möglich war, unter der Voraussetzung, zwei Ärzte von Andreas’ Behandlung auszuschließen. Er erklärte mir offen, dass ich nicht verhindern könne, dass diese Ärzte bei Beratungen über Andreas dabei sein würden. Das war in Ordnung für mich, nur in Andreas’ Zimmer wollte ich sie nicht sehen. Auch das wurde mir gewährt, allerdings fragte mich der Chefarzt gleich nach meiner Ankunft, warum ich diese beiden von der Behandlung ausgeschlossen habe. Meine Erklärung akzeptierte er.
EIN JAHR
Im Durchschnitt verbrachten wir ungefähr sechs Wochen im Krankenhaus. Nicht alle dieser Aufenthalte sind erwähnenswert. Zwischen diesen längeren gab es auch noch kurze Aufenthalte, wenn Andreas wegen hohen Fiebers in Begleitung einiger aufeinander folgender Anfälle eingeliefert wurde, oder wenn er lediglich wegen einer Untersuchung mal eben drei Tage im Krankenhaus verbringen sollte.
Dies war unser sechster Aufenthalt, der wahrscheinlich mehrere Wochen dauern würde. Ich war nicht mehr so ruhig und lässig wie die Male zuvor, da zu Hause nun meine kleine Tochter war. Nichts war schlimmer für mich, als von meinen Kindern getrennt zu sein. Wieder wurden Medikamente angesetzt, dann wieder abgesetzt, weil sie nicht das brachten, was wir uns erhofften. Dann bekam Andreas eines der ältesten Medikamente gegen Epilepsie auf dem Markt – und es wirkte! Die Anfälle waren wie weggefegt. Ein ganzes Jahr blieb das so, ein wundervolles ganzes Jahr ohne Anfälle. Ulli warnte mich, dass dies aller Wahrscheinlichkeit nach nicht so bleiben würde. Aber ich fuhr das erste Mal seit dem ersten Anfall mit einem Andreas nach Hause, der wirklich anfallsfrei war.
Ich fand einen Kindergarten für körperbehinderte Kinder und wusste ihn dort gut betreut. In diesem Jahr schien er einiges aufholen zu wollen, er entwickelte sich prächtig, machte seinen größten Entwicklungssprung. Er lernte auch Fahrradfahren, auf einem Spezialrad, mit regelrechten Stoßdämpfern. Allerdings trieb er das ungemein auf die Spitze und fuhr über alle Treppen und Stufen, die es dort gab. Die Betreuer warnten ihn es nicht zu tun, aber mein Andreas scherte sich nicht darum.
Die Mitarbeiter des Kindergartens rieten mir, einen Schwerbehindertenausweis für meinen Sohn zu beantragen, auch würde uns Pflegegeld zustehen. Natürlich wusste ich, dass es das gab, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, einen Antrag zu stellen. Ich stellte dann beide Anträge und nach ein paar Wochen bekam ich den Bescheid, dass mein Sohn eine Behinderung von 100% hatte. Dann kam der Bescheid für das, was wir heute Pflegegeld nennen. Das hieß früher in etwa „Beihilfe zum Bundessozialhilfegesetz“ und richtete sich nach dem Einkommen. Um diese Beihilfe zu bekommen, mussten wir zur Amtsärztin.
Wir gingen also dorthin, nicht ahnend, was da auf meinen
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