Gai-Jin
Sir.«
»Die Holländer aber wurden geduldet, weil sie keine Missionare mitbrachten, sondern nur Handel treiben wollten.« Sekundenlang hielt er inne, während seine Hände weiterhin feine, saubere Nähte setzten. Dann erzählte er weiter. »Also durften ein paar Holländer – immer nur Männer, niemals Frauen – hier bleiben, doch nur unter äußerst strengen Auflagen und auf eine künstliche, drei Morgen große Insel namens Deshima im Hafen von Nagasaki beschränkt. Die Holländer beachteten jede Vorschrift, die die Japaner erließen, und machten Kotau, während sie dabei reich wurden. Sie brachten Bücher ins Land, wenn man es ihnen erlaubte, handelten, wenn man es ihnen erlaubte, und stellten den Chinahandel auf die Beine, der für Japan lebenswichtig ist: chinesische Seide und Silber gegen Gold, Papier, Lack, Eßstäbchen – kennen Sie die?«
»Ja, Sir. Ich war drei Monate in Peking.«
»Ach ja, entschuldigen Sie. Na, macht nichts. Den holländischen Journalen des 17. Jahrhunderts zufolge entschied der erste der Toranaga-Shōgune, daß ausländischer Einfluß gegen Japans Interessen sei, also riegelte er das Land ab und bestimmte, daß die Japaner weder seetüchtige Schiffe bauen noch das Land verlassen durften, daß jeder, der das dennoch tat, niemals zurückkehren durfte, und wenn er es doch tat, sollte er auf der Stelle getötet werden. Dieses Gesetz gilt immer noch.« Seine Finger hielten sekundenlang inne, und er fluchte, weil der dünne Faden gerissen war. »Geben Sie mir die andere Nadel. Man kann hier kein anständiges Katgut kriegen, obwohl diese Seide hier auch ganz gut geht. Versuchen Sie, eine weitere Nadel einzufädeln, aber waschen Sie sich zuerst die Hände, und hinterher, wenn Sie damit fertig sind, noch einmal. Danke.«
Tyrer war froh, etwas tun zu können, und wandte sich ab, doch seine Finger waren hilflos. Wieder stieg die Übelkeit in ihm hoch. Sein Kopf pochte. »Was sagten Sie von den Holländern?«
»Ach ja. Also begannen die Holländer und Japaner vorsichtig voneinander zu lernen, obwohl es den Holländern offiziell verboten war, Japanisch zu lernen. Vor etwa zehn Jahren gründeten die Bakufu eine Sprachschule für Holländisch…« Beide Männer hörten eilige Schritte.
Hastiges Klopfen. Draußen stand der schwitzende Sergeant, der dazu erzogen war, nicht einzutreten, wenn operiert wurde. »Verzeihen Sie, wenn ich störe, Sir, aber da kommen vier von den verdammten Mistkerlen die Straße runter. Sieht aus wie eine Abordnung. Allesamt Samurai.«
Der Arzt nähte weiter. »Ist Lim bei ihnen?«
»Jawohl, Sir.«
»Führen Sie sie ins Empfangszimmer und sagen Sie Lim, er soll sich um sie kümmern. Ich komme, sobald ich hier fertig bin.«
»Jawohl, Sir.« Der Sergeant warf einen letzten, starren Blick auf den Tisch und floh.
Der Arzt beendete eine weitere Naht, verknotete den Faden, durchschnitt ihn, tupfte die blutende Wunde ab und begann von neuem. »Lim ist einer unserer chinesischen Helfer. Unsere Chinesen verrichten den größten Teil unserer Botengänge – nicht etwa, daß sie Japanisch sprechen oder besonders vertrauenswürdig wären.«
»Wir… Genauso war es… In Peking haben wir dasselbe erlebt, Sir. Schreckliche Lügner.«
»Die Japaner sind schlimmer – aber irgendwie stimmt auch das nicht ganz. Es ist nicht so, daß sie Lügner sind, es ist nur so, daß die Wahrheit beweglich und von der Laune des Sprechers abhängig ist. Es wäre sehr wichtig, daß Sie möglichst schnell Japanisch lernen. Wir haben keinen einzigen Dolmetscher, jedenfalls nicht unter unseren Landsleuten.«
Tyrer starrte ihn sprachlos an. »Gar keinen?«
»Gar keinen. Der englische Padre spricht ein wenig, aber den können wir nicht einsetzen, denn die Japaner mißtrauen Missionaren und Priestern. In der Niederlassung haben wir nur drei, die Holländisch sprechen – einen Holländer, einen Schweizer, der unser Dolmetscher ist, und einen Händler von der Kapkolonie, aber keinen einzigen Briten. In der Niederlassung sprechen wir so einen Mischmasch von Lingua franca namens ›Pidgin‹, genau wie in Hongkong, Singapur und den anderen chinesischen Handelshäfen, und benutzen Compradores, eingeborene Handelsagenten.«
»So war es in Peking auch.«
Babcott hörte den gereizten Ton, aber noch deutlicher die unterschwellige Gefahr. Als er aufblickte, sah er sofort, daß Tyrer kurz vor dem Zusammenbruch stand und jede Sekunde wieder erbrechen würde. »Sie machen das großartig«, versicherte er
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