Gai-Jin
Syborodin, der Amerikaner, ein massiger, braunhaariger Vierzigjähriger in groben Kleidern und ein Freund von Canterbury, schäumte vor Wut. »Wäre verdammt noch mal leicht, einen von ihnen zum Reden zu bringen.« Dann entdeckten sie etwa ein Dutzend Samurai, die in einiger Entfernung auf der Straße standen und sie beobachteten. Viele trugen Bogen bei sich, und alle Ausländer wußten, wie geschickt Samurai-Bogenschützen waren.
»Ganz so leicht nicht, Dimitri«, widersprach McFay.
Pallidar, der junge Dragoneroffizier, sagte energisch: »Fertig wird man leicht mit denen, Mr. McFay, ohne Genehmigung jedoch wäre es nicht geraten – es sei denn, sie greifen uns an.« Dann kommandierte er einen seiner Dragoner ab, ein Detachement mit einem Sarg aus dem Lager zu holen. »Sie sollten das umliegende Gelände durchsuchen. Sobald meine Männer eintreffen, werden sie Ihnen helfen. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß die beiden anderen verwundet sind und sich hier irgendwo in der Nähe befinden.«
Schaudernd deutete McFay auf den Leichnam. »Oder vielleicht tot wie er?«
»Möglich, aber hoffen wir das Beste. Sie drei nehmen diese Seite, die anderen verteilen sich und…«
»Je, Jamie«, unterbrach ihn Dimitri, dem Uniformen und Soldaten, vor allem britische, verhaßt waren. »Wie wär’s, wenn wir beide nach Kanagawa weiterreiten – vielleicht wissen die in unserer Gesandtschaft etwas.«
Pallidar ignorierte seine Feindseligkeit, hatte sogar Verständnis dafür. Dimitri war Amerikaner kosakischer Abstammung, ein ehemaliger Kavallerieoffizier der U.S. Army, dessen Großvater im amerikanischen Krieg von 1812 im Kampf gegen die Briten gefallen war. »Kanagawa ist eine gute Idee, Mr. McFay«, sagte er. »Dort wird man auf jeden Fall Näheres über eine große Truppe Samurai wissen, die hier durchgezogen ist, und je schneller wir die Schuldigen finden, desto besser. Der Angriff muß von einem ihrer Könige oder Fürsten befohlen worden sein. Diesmal werden wir den Bastard festnageln, und dann gnade ihm Gott.«
»Gott lasse alle Bastarde verfaulen«, ergänzte Dimitri betont.
Wieder ließ sich der prächtig uniformierte Captain nicht provozieren, ließ es aber auch nicht durchgehen. »Ganz recht, Mr. Syborodin«, entgegnete er lässig. »Und jeder, der mich einen Bastard schimpft, sollte sich schnell einen Sekundanten, eine Pistole, ein Leichentuch und jemanden besorgen, der ihn beerdigt. Mr. McFay, Sie haben noch viel Zeit bis zum Sonnenuntergang. Ich werde hier bleiben, bis meine Männer wiederkommen, dann werden wir uns an der Suche beteiligen. Wenn Sie in Kanagawa etwas erfahren, geben Sie mir bitte Nachricht.« Er war vierundzwanzig und vergötterte sein Regiment. Mit kaum verhohlener Verachtung musterte er die bunte Schar der Kaufleute. »Die übrigen von Ihnen, meine… Herren…, sollten jetzt mit der Suche beginnen; verteilen Sie sich, halten Sie aber Sichtkontakt. Brown, Sie gehen mit der Gruppe und durchsuchen den Wald. Sergeant, Sie übernehmen den Befehl.«
»Jawohl, Sir. Kommen Sie mit, Sie alle!«
McFay zog seinen Mantel aus und breitete ihn über den Leichnam; dann saß er auf. Zusammen mit seinem amerikanischen Freund jagte er nordwärts auf das eine Meile entfernte Kanagawa zu.
Der Dragoner blieb allein zurück. Unbeweglich saß er neben dem Leichnam auf seinem Pferd und beobachtete die Samurai. Sie starrten zurück. Der eine hob den Bogen ein wenig an – vielleicht eine Drohung, vielleicht auch nicht. Den Säbel locker in der Scheide, blieb Pallidar regungslos sitzen. Die Sonne funkelte auf seinen Goldtressen. Die Fußgänger auf der Tokaidō eilten stumm und ängstlich an ihm vorbei. Sein Pferd scharrte den Boden und ließ mit seinen nervösen Bewegungen das Zaumzeug klirren.
Das war kein Angriff wie die anderen, die Einzelangriffe, dachte er mit wachsendem Zorn. Es wird einen Höllenaufruhr geben um diesen Angriff und diesen grausamen Mord an einem Engländer. Das bedeutet Krieg.
Wenige Stunden zuvor waren die vier am Zollhaus vorbei durchs Haupttor hinausgeritten, hatten nachlässig die Samurai-Wachtposten gegrüßt, die sich ebenso nachlässig verneigten, und waren auf schmalen Pfaden gemächlich landeinwärts in Richtung Tokaidō getrabt. Alle waren hervorragende Reiter mit schnellen Pferden.
Angélique zu Ehren trugen sie ihre besten Zylinder und Reitanzüge und wurden von jedem Mann in der Niederlassung beneidet: einhundertsiebzehn ansässige Europäer, Diplomaten, Kaufleute,
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