Gai-Jin
Verwunderung darüber, daß Anjo eine so offenkundige, wenn auch gefährliche Bemerkung laut aussprach. »Tee?«
Anjo nickte verdrossen, wieder einmal neidisch auf die Kraft und Eleganz des Jüngeren… In mancher Hinsicht ist Nobusada gar nicht so dumm, dachte er. Was dich angeht, so bin ich derselben Meinung wie der Dummkopf, je schneller ihr entfernt werdet, du und Sanjiro, desto besser, ihr bedeutet beide nur Ärger. Könnte der Rat beschließen, deine Macht als Vormund einzuschränken oder dich zu verbannen? Es stimmt, du treibst diesen törichten Jungen jedesmal, wenn er dich sieht, in den Wahnsinn – genau wie sie. Wenn du nicht wärst, würde ich mit diesem Miststück fertig werden, ob sie nun des Kaisers Stiefschwester ist oder nicht. Und ausgerechnet ich war nicht nur für diese Heirat, sondern habe auch noch taikō Iis listigen Plan ausgeführt – trotz der Einwände des Kaisers gegen diese Verbindung. Haben wir nicht sein zögerndes erstes Angebot seiner dreißigjährigen Tochter und dann seines einjährigen Babys ausgeschlagen, bis er sich endlich, unter Druck, mit seiner Stiefschwester einverstanden erklärte?
Gewiß, diese enge Verbindung Nobusadas mit der kaiserlichen Familie hat unsere Position Sanjiro und den äußeren Lehnsherren gegenüber gefestigt, unsere Position gegenüber Yoshi und all jenen, die statt dessen ihn zum Shōgun ernannt sehen wollten. Und diese Verbindung wird allmächtig werden, sobald sie einen Sohn geboren hat – das wird sie dämpfen und ihr das Gift nehmen. Ihre Schwangerschaft ist überfällig. Der Arzt des Jungen wird die Ginsengdosis erhöhen oder ihm einige von den Spezialpillen verabreichen, um die Leistung dieses jungen Laffen zu verbessern, erschreckend, in seinem Alter so schlapp zu sein. Jawohl, je schneller sie schwanger wird, desto besser.
Er leerte seine Teetasse. »Wir sehen uns morgen bei der Sitzung.« Beide verneigten sich mechanisch.
Yoshi, der frische Luft und Zeit zum Nachdenken brauchte, verließ das Zimmer und ging auf die zinnenbewehrte Brustwehr hinaus. Unten sah er die ausgedehnten, steinernen Festungsanlagen mit drei konzentrischen Burggräben, unüberwindlichen Verteidigungsschwerpunkten, mit Zugbrücken und wahrhaft monströsen Mauern. Innerhalb der Burgmauern lagen nicht nur Quartiere für fünfzigtausend Samurai und zehntausend Pferde, sondern auch zahllose Gärten, weite Hallen und Paläste für auserwählte, loyale Familien – wobei innerhalb des inneren Grabens nur die Toranaga-Familien wohnten.
Im zentral gelegenen Hauptturm befanden sich die am besten gesicherten Wohnbezirke und das Allerheiligste des regierenden Shōgun, seiner Familie, seiner Höflinge und Gefolgsleute. Und die Schatzkammern. Als Vormund wohnte auch Yoshi dort, unwillkommen und ganz am Rand, aber auch sicher und mit eigenen Wachen.
Hinter dem äußeren Burggraben lag der erste schützende Kreis der Daimyo-Paläste – riesige, luxuriöse, weitläufige Bauten; daran schlossen sich mehrere Kreise etwas geringerer Residenzen an, eine für jeden Daimyo im Land. Allen Daimyos war ihr Bauplatz vom Shōgun Toranaga persönlich zugewiesen worden, und alle Paläste waren in Übereinstimmung mit seinem neuen Gesetz der sankin-kotai, der alternativen Residenz, erbaut worden.
»Sankin-kotai«, hatte Shōgun Toranaga gesagt, »verlangt, daß alle Daimyos sich sofort eine ›angemessene Residenz‹ vor meinen Burgmauern bauen und für immer behalten, und zwar in der Lage, die ich ihnen zuweise, wo sie mit ihren Familien und einigen alten Vasallen ständig zu wohnen haben, und jeder Palast muß kostbar ausgestattet und mit Verteidigungsanlagen versehen sein. Einmal in drei Jahren darf und soll der Daimyo zu seinem Lehen zurückkehren und dort mit seinen Gefolgsleuten wohnen, doch ohne Ehefrau, Konkubine, Mutter, Vater, Kinder, Kindeskinder oder andere Mitglieder seiner nächsten Familie. Die Reihenfolge, in der die Daimyos reisen oder hier bleiben, wird ebenfalls wohlüberlegt geregelt werden, und zwar an Hand nachfolgender Liste mitsamt dem jeweils entsprechenden Zeitplan…«
Das Wort ›Geisel‹ war nie gefallen, obwohl die Geiselnahme, befohlen oder angeboten, um Willfährigkeit zu garantieren, ein uralter Brauch war. Sogar Toranaga selbst war als Kind einst Geisel des Diktators Goroda gewesen; seine Familienmitglieder waren Geiseln von Gorodas Nachfolger Nakamura, seines Verbündeten und Lehnsherrn; und er, der letzte und größte, erweiterte den Brauch zum
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