Gai-Jin
sankin-kotai, um sie alle zusammen in Schach zu halten.
»Zugleich«, hatte er in seinem Vermächtnis geschrieben, einem privaten Dokument für ausgewählte Nachkommen, »wird den nachfolgenden Shōgunen befohlen, alle Daimyos zu ermuntern, luxuriös zu bauen, in elegantem Stil zu leben, sich reich zu kleiden und üppig zu amüsieren, damit sie das alljährliche Koku-Einkommen aus ihrem Lehen möglichst schnell ausgeben, das nach korrektem, unveränderlichem Brauch einzig dem betreffenden Daimyo gehört. So werden sie sich schnell verschulden, immer abhängiger von uns werden und, weit wichtiger, zahnlos sein, während wir weiterhin sparsam leben und jede Extravaganz vermeiden.
Trotzdem sind einige Lehen – Satsuma, Mori, Tosa, Kii zum Beispiel – so reich, daß selbst nach derartigen Extravaganzen ein viel zu gefährlicher Überschuß zurückbleibt. Daher wird der herrschende Shōgun von Zeit zu Zeit den Daimyo auffordern, ihm ein paar Meilen neuer Straße, einen Palast, einen Garten, ein Lustschloß oder einen Tempel zu schenken, wobei die Summen, der Zeitpunkt und die Häufigkeit dieser Geschenke im folgenden Dokument festgelegt werden…«
»So klug, so weit vorausdenkend«, murmelte Yoshi. Jeder Daimyo in einem Seidennetz gefangen, hilf- und wehrlos. Und alles durch Anjos Dummheit ruiniert.
Mit seinem ersten ›Wunsch‹, von Sanjiro vor den Rat gebracht, noch ehe Yoshi Mitglied wurde, verlangte der Kaiser, diesen uralten Brauch abzuschaffen. Anjo und die anderen hatten Ausflüchte gemacht, diskutiert und schließlich zugestimmt. Und fast über Nacht hatten alle Frauen, Konkubinen, Kinder, Verwandten und Krieger die Ringe der Paläste verlassen, so daß sie innerhalb weniger Tage zu einem von nur wenigen alten Gefolgsleuten bewohnten Ödland wurden.
Unser wichtigstes Machtinstrument – unwiderbringlich dahin, dachte Yoshi bitter. Wie hat Anjo nur so ungeschickt sein können?
Er ließ den Blick über die Paläste wandern, bis zu der Hauptstadt hinab, deren eine Million zählende Einwohner alle der Burg dienten und von ihr lebten, einer von Wasserläufen und Brücken durchzogenen, fast ganz aus Holz erbauten Riesenstadt. Heute waren zahlreiche Brände – die Blüten der Erdbeben – zu sehen, die sich bis zur Küste hinabzogen. Einer der großen Holzpaläste stand in Flammen.
Wie Yoshi nebenbei feststellte, gehörte er dem Daimyo von Sai. Gut. Sai unterstützt Anjo. Die Familien sind verschwunden, aber der Rat kann ihm befehlen, den Palast wieder aufzubauen, und die Kosten werden ihn endgültig ruinieren.
Vergessen wir ihn! Was haben wir gegen die Gai-Jin aufzubieten? Es muß doch etwas geben! Jeder sagt, sie könnten Edo niederbrennen, nicht aber in die Burg eindringen oder eine lange Belagerung durchhalten. Ich bin anderer Meinung. Gestern hat Anjo den Ältesten wieder die wohlbekannte Geschichte der Belagerung von Malta vor über dreihundert Jahren erzählt, als es den türkischen Armeen nicht gelang, sechshundert tapfere Ritter aus ihrer Burg zu vertreiben. »Wir haben Zehntausende von Samurai«, hatte Anjo erklärt, »die den Gai-Jin alle feindselig gegenüberstehen. Wir müssen siegen, sie müssen abziehen.«
»Aber weder die Türken noch die Christen hatten Geschütze«, hatte er eingewandt. »Vergessen Sie nicht, daß Shōgun Toranaga die Burg Osaka mit Gai-Jin-Geschützen erobert hat – dieses Gezücht kann hier das gleiche tun.«
»Selbst wenn sie es täten, hätten wir uns bis dahin längst in die Sicherheit der Berge zurückgezogen. Dann würde jeder Samurai und jeder Mann, jede Frau und jedes Kind im Land – sogar die stinkenden Kaufleute – zu unseren Fahnen eilen und wie die Heuschrecken über sie herfallen. Wir haben nichts zu befürchten«, hatte Anjo verächtlich behauptet. »Die Burg Osaka war ein anderer Fall, das war Daimyo gegen Daimyo, nicht eine Invasion. Der Feind kann einen Landkrieg nicht durchhalten. In einem Landkrieg müssen wir siegen.«
»Sie würden alles verwüsten, Anjo-sama. Uns bliebe nichts mehr zu regieren. Die einzige Möglichkeit für uns wäre, die Gai-Jin in einem Netz zu fangen, wie eine Spinne ihre weit größere Beute fängt. Wir müssen eine Spinne sein und uns ein Netz suchen.« Aber sie wollten nicht auf ihn hören.
Wo ist das Netz?
»Zunächst muß man das Problem erkennen«, hatte Shōgun Toranaga in seinem Vermächtnis geschrieben, »dann erst kann man mit viel Geduld die Lösung finden.«
Das Problem mit den Fremden war folgendes: Wie
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