Gaisburger Schlachthof
Geliebte.«
Fängeles kleine Elefantenaugen ließen sich schwer fixie ren. »Wie gesagt, das Privatleben meiner Angestellten interessiert mich nicht. Ihr von der Presse seid immer schnell dabei, je manden zu verurteilen.«
»Na, hören Sie mal!«, sagte ich gelinde amüsiert. »Ihr Unverständnis für Gewalt kann doch nicht so weit gehen, dass Sie sich nicht vorstellen können, dass auch eine betrogene Ehefrau mal die Wut kriegt.«
Fängele lächelte linienreich. »Wenn Sie das für zwingend halten. Sie verstehen wahrscheinlich mehr davon als ich.«
»Dann bleiben wir bei dem, wovon auch Sie etwas verstehen, bei Ihrer großen Familie. Gehört Weber auch dazu?«
Fängeles Dreifachkinn wallte leicht. »Hier kann jeder trainieren, der ordnungsgemäß bezahlt.«
»Ja, aber was will er wirklich hier?«
»Da bin ich überfragt.«
Ich war hingerissen von der Härte, die so eine Qualle wie Fängele ausstrahlen konnte. Die Oberfläche wallte und waber te inmitten eines unsichtbaren Netzes von Nesselfäden, das je den strafte, der sich auf mehr als einen Meter näherte. Ich sah im Moment keinen Grund, mir Verätzungen zu holen. In dem Zeitraum, in dem Schiller zu Tode kam, hatte ich gestern im Büro Fängele gegenübergesessen.
Wir einigten uns darauf, dass meine Anwesenheit im Schlachthof auch weiterhin nur meiner Körperertüchtigung diente. Zum Beweis schulterte ich meine gepackte Judota sche, und Fängele wünschte mir mit einem weichen Händedruck viel Erfolg.
Draußen lächelte ich Gertrud in die blauen Augen. Befriedigt registrierte ich, dass mein Blick auch bei einer vierzigjährigen Turnlehrerin Verwirrung anrichten konnte. Sie war es zwar gewohnt, Kunden zu managen, aber sie hatte auch eine kleine Schwäche, nämlich die Eitelkeit, die sie offen machte für meinen begehrlichen Blick auf die Naht der Turnhose zwischen Nabel und Schenkel.
Am Fahrradergometer erklärte Horst einer sehnigen Frau das Programm des Hometrainers. Er nickte mir mit einer erns ten Sanftheit zu. Als ob wir beide momentan die Einzigen wären, welche die Hypothek fühlten, die auf dem Schlachthof lag.
Im Dojo unterm Dach unterwies Waldemar, der Karateka mit dem verwüsteten Gesicht, Gelbgurte. Sie standen sich paarweise gegenüber. Einer nahm mit langsam ausgestreckter Faust Maß. Die Knöchel berührten das Kinn des Gegenübers gerade eben nicht. Er wiederholte das Maßnehmen in höherem Tempo. Beim dritten Mal explodierte die Faust gegen das Kinn des Gegners, der zurückzuckte. Danach nahmen die Jungs und Maiden, hörbar die Luft ausstoßend, die Grundhaltung ein: Füße schulterbreit, Knie leicht gebeugt, das Becken vorgeschoben, angespannte Bauchdecke, die Fäuste seitlich vor den Schenkeln. An der Decke hingen Sandsäcke bereit für spätere Übung gezielter Schläge.
Katrin Schiller saß in T-Shirt und Judohose am Tischchen vor der Theke und aß Quark mit Orangen. Der dicke Zopf führte ein schimmerndes Eigenleben auf dem muskulösen Rücken unter dem dünnen Stoff. Sie hatte ein für eine Kämpferin feines Gesicht, das sie schminkte wie eine Geschäftsfrau. Doch ihre Fingergelenke waren verdickt von zahllosen Kapselrissen ihrer Kampfkarriere. Sie hob die gletscherhöh lenblauen Augen. Mir lief es kalt den Rücken hinunter.
»Du kriegst wohl nie genug.«
»Niederlagen sind der Weg zum Sieg«, sagte ich. »Mein Beileid!«
Sie lachte auf, nahm den Teller und die Orangenschalen und zog sich hinter die Theke zurück. »Danke. Aber mein Mann und ich standen kurz vor der Scheidung.«
Obgleich Judohosen immer unkleidsam bauschten, packte mich ihre kühle Mischung aus Kraft und Knittern mit voller Wucht. Ich hatte gelesen, dass Katrin Spezialistin der offenen Klasse gewesen war. Den Kampf gegen Hundertkiloweiber konnte man nur mit Technik und Schnelligkeit gewinnen. An so jemanden kam man nicht ran, jedenfalls ich nicht mit meiner eher halbherzigen Aggressivität. Ich musste schon jetzt all meinen Mut zusammennehmen, um nicht kaninchenstumm herumzustehen.
»Vor gut einem Jahr hat eine Judolehrerin in der Hausmannstraße vor einem Sportstudio ihren Ehemann tätlich angegriffen. Ich habe es in der Zeitung gelesen.«
Mit diesem Blick auf die Backenknochen musste Katrin einst ihre Gegnerinnen abgeschätzt haben. »So. Das hast du in der Zeitung gelesen. Dann muss es ja stimmen.«
Sie wandte sich dem Spülbecken zu. Die Unterarmmuskeln machten das Hantieren mit der Spülmittelflasche zu einem ästhetischen Ereignis.
»Mich wundert
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