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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Schmerzen, wenn sie nur in ein Auto stiegen.
    »Aber«, sagte ich, »hier trainiert doch ohnehin kaum jemand.«
    »Ja, die Leute arbeiten lieber mit den Maschinen. Da kann man ganz gezielt einzelne Muskelgruppen isolieren und trainieren. Aber wer es ein bisschen professioneller will … Christoph trainiert hier manchmal.«
    »Der Polizist?«
    Horst nickte.
    Mir fiel auf, dass man vom Bistro aus keinen Einblick in diese Abteilung hatte. Die luftige Treppenkonstruktion versperrte den Blick. »Steht die Tür des Notausgangs manchmal offen?«, erkundigte ich mich.
    »Wieso?«
    »Da liegt ein Holzkeil, um sie offen zu halten.«
    Fast besorgt setzte sich Horst in Bewegung. Er öffnete die Tür und schob den Keil mit dem Fuß vor den Rahmen. Kalte Nachtluft. Er sah mich ratlos an. »Offenbar haben einige manchmal …«, stammelte er, »obwohl … Wir haben eine Klimaanlage. Aber ich bin ja eher selten hier oben. Das ist … das war Schillers Bereich hier.«
    Horsts Haltung änderte sich plötzlich. Wurde beflissen und verschlossen.
    In der Öffnung der Zwischenwand war ein Halbnackter aufgetaucht, überflog mit dem Blick die Geräte, die für mich alle nicht handhabbar waren, und erkundigte sich harsch, wo die Klammern zu finden waren, mit denen man die Gewichtscheiben fixierte.
    »An der Stange«, antwortete Horst, beugte sich unter dem Absperrband durch und verschwand.
    Der Halbnackte schenkte mir den Blick eines Chefs, der in seinem eigenen Betrieb niemals dulden würde, dass Mitarbeiter herumstanden und schwatzten. Buhlerei um die Aufmerksamkeit der Trainer war nichts Besonderes, und dass halbnackte Männer demonstrierten, dass sie im anderen Leben Anzüge trugen, auch nicht, aber dass Horst sich wie ertappt beeilte, spiegelte den Führungsstil des Hauses wider, die Verbeugung vor Geld, auch wenn es Arschlöchern gehörte.
    Mit säuerlichem Geschmack im Mund stieg ich zur Rezeption hinab. Auch der Staatsanwalt war mittlerweile geduscht und gekämmt. Gertrud ratschte seinen Ausweis durchs Lesegerät. Ich sprang ihm hinterher.
    Auf dem verschwenderisch erleuchteten Parkplatz war Weber eben dabei, seine Sporttasche in den Kofferraum eines silberfarbenen Mercedes zu schwingen. Seine Socken hatten dieselbe Farbe wie seine Krawatte: Bordeauxrot.
    »Fahren Sie zufällig in die Stadt?«, fragte ich.
    Weber zögerte. In Schwaben geht niemand gern das Risiko ein, die Polster des eigenen Mercedes von Fremden verfusseln, die Fußmatten von ungeputzten Schuhsohlen eindrecken und sich selbst am Steuer vollquatschen zu lassen. Aber Weber war doch so höflich zu fragen: »Wo wollen Sie denn hin?«
    »In die Neckarstraße. Ich wohne gegenüber der Staatsanwaltschaft.«
    Er deutete mit einem Lächeln an, dass er wusste, dass ich wusste, dass er dort arbeitete. »Steigen Sie ein, in Gottes Namen.«
    Er roch nach einem Gemisch aus Zeder und Zibet, das man nicht für drei neunzig im Drogeriemarkt kaufen konnte. An den kurzfingrigen Händen, die er mit viel Gefühl für den noblen Wagen auf den Lenker legte, steckte kein Ehering. Weber langte zuerst nach dem Schaltknüppel und dann nach einer schwarzen Schachtel Davidoff über dem Autotelefon. »Es stört Sie doch nicht.« Er schaffte es, das Auto vom Parkplatz zu manövrieren, den elektrischen Fensterheber zu betätigen und sich gleichzeitig die Zigarette anzuzünden.
    »Sie sporteln auch nicht aus Gründen der Gesundheit«, bemerkte ich.
    »Der größte Teil der Menschen«, erwiderte er, »lebt, gleich den Tieren, nach sinnlichen Trieben und erkennt die Dinge nur sehr oberflächlich. Dante.«
    Es dauerte eine Weile, bis ich die gedrechselte Beleidigung begriffen hatte. Ich stammte aus einem Kaff am Albtrauf. Meine Lebensperspektive war einst Fremdsprachensekretöse gewesen, bevor mich ein Junior-Saftfabrikant heiratete, der kurz darauf seinem Leben und Auto an einem Birnbaum ein Ende setzte und mir ein stattliches Vermögen und ein vernarbtes Gesicht hinterließ.
    »Und was wissen Sie über Schillers Tod?«, erkundigte ich mich.
    »1805 in Weimar.«
    Nicht schon wieder!
    »Promovierte bekanntlich über den Zusammenhang der tie rischen Natur des Menschen mit seiner geistigen.«
    »Sind von uns beiden eigentlich Sie der Affe oder ich?«, fragte ich liebenswürdig.
    Weber lächelte und schaltete. »Vor allem bin ich nicht der ermittelnde Staatsanwalt, Frau Nerz.«
    Er kannte meinen Namen! Welche Ehre! »Aber Sie kennen sich mit Schillers aus. Die beiden wollten sich scheiden lassen.«
    »Und

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