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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Wolf den Wurf noch einmal vor und widmete sich besonders der Frage, wie der Geworfene seinen Fall kontrollieren konnte. »Es gibt keinen schlechten Wurf, es gibt nur ein schlechtes Fallen.«
    Ich haderte mit dem Schmerz im Schambein. Klar war ich selber schuld.
    Vicky wollte ihre zweite Chance von mir. Katrin kam herbei und nahm sie am Arm. »Und du, Vicky, kümmerst dich künftig nur um deinen Wurf. Vergiss das Mitleid. Im Judo ist jeder für sich selbst verantwortlich. Deshalb lässt du Lisa künftig alleine aufstehen, solange sie es noch kann. Das ist eine Frage des Respekts.«
    Immerhin. So kam ich doch noch zu meinem Recht.
    Beschwingt von der Hoffnung, in Katrins Spottskala von minus 100 auf minus 99 gestiegen zu sein, begab ich mich unter die Dusche. Dort ölte sich eine der Karateka die Orangenhaut mit Orangenöl. Beweis eines fundamentalen Unterschieds der Geschlechter: Das Fettgewebe des Mannes liegt stramm gitterförmig unter der Haut, das der Frauen aber sackt halbkreisförmig ab und schafft Löcher. In den Duschen ka men weitere Körperlotions zur Anwendung. Rosenduft, Rosmarin, Vanille.
    »Du«, schrie eine unter der Brause, »wo kriegst du den Stoff jetzt her?« Sie schaute mit tropfenden Haaren um die Ecke unter meinen Vorhang. »Oh, entschuldige.«
    Benommen von all den Düften taumelte ich aus den Duschen. Was für Stoff?
    Bei Katrin an der Theke hatten sich mittlerweile Waldemar und Weber versammelt. Sie hatten alle drei etwas von Pech und Schwefel, so wie am Freitag im Tauben Spitz. Krisensitzung, oder Kriegsrat. Am Montag darauf war Schiller tot.
    In den Etagen darunter war die Rushhour vorbei. Vor den Spiegeln bei den Hanteln posierte noch ein Halbnackter, angetan mit dem Nierengürtel, der beim Reißen und Stemmen den Rücken stabilisiert, indem er den Bauchmuskeln hilft, die Innereien gegen die Wirbelsäule zu drücken.
    Horst spielte mit der SZ-Hantel, das heißt, er ließ beim Hochreißen der Gewichte an der gewinkelten Stange vor der Brust die Schultermuskeln, den Kappenmuskel und Deltamuskel, spielen. Der blonde Mann mit den tiefliegenden stahlblauen Augen war weniger der Traum aller Frauen als vielmehr der Traum aller Männer, die glaubten, dies sei der Traum aller Frauen.
    Zur Abteilung der schweren Langhanteln verwehrte ein rotweißes Absperrband den Zutritt. Ich beugte mich darunter hindurch. Da stand tatsächlich noch die nagelneue Flachdrückbank, auf der Schiller gestorben war. Die Hantelstange hing am Kopfende in den Haken, inzwischen ohne Gewichtscheiben.
    Der hellblaue Plastikbezug der Bank war ohne Blutfleck, das Gestänge blitzte und funkelte.
    In den Fenstern stand die Nacht. Das Notausgang-Zeichen leuchtete grün über der blauen Eisentür in der hinteren Ecke. Sie ließ sich, wie es sich gehörte, von innen öffnen. Kalte Nachtluft, ein Blick auf eine stählerne Feuertreppe, die nachträglich an das Gebäude gehängt worden war. Von außen war die Tür nur mit einem Schlüssel zu öffnen. Aber an der Fußleiste neben der Tür lag ein Holzkeil.
    Ich stellte meine Sporttasche an der Flachdrückbank ab und legte mich unter das Fallbeil. An die Stange über der Na se langte man außen an den Haltegabeln vorbei. Das Metall war an diesen Stellen aufgeraut. Unvorstellbar, dass einer so hundert Kilo stemmen konnte. Schon die Stange hatte ein deutliches Gewicht, das ich ausbalancieren musste.
    Ein Lufthauch streifte meinen Scheitel. Ich stieß die Stange in die Gabeln zurück und sprang auf. Da stand Horst, die mächtigen Arme vor der Brust gekreuzt, ein ernstes Lächeln im Gesicht, das verglichen mit der ausdrucksvollen Differenzierung seines Bewegungsapparats schlecht trainiert wirkte, hager, einfältig, nett.
    »Was machst du hier?«
    »Wie konnte Schiller hier nur eine halbe Stunde lang unentdeckt herumliegen?«, fragte ich zurück.
    Horst zuckte mit den gewaltigen Schultern. »Ich kann leider nicht überall sein. Ich musste jemandem bei den Schließfächern helfen. Er hatte die Nummer vergessen. Ich habe Fritz immer gesagt, wir müssen jemanden abstellen, der das hier im Auge behält.«
    Wenn so etwas wie die klammheimliche Befriedigung ei nes Untergebenen mitschwang, so war sie doch gut verpackt in der mächtigen Ruhe eines Kerls, der sich nichts mehr zu beweisen brauchte. In Wahrheit war diese Sorte Kraft statisch und unaggressiv, denn die aufgepumpte verkürzte Muskulatur schränkte den Bewegungsradius der Gelenke zuweilen erheblich ein. Manche Bodybuilder litten viehische

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