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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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nur«, sagte ich, »dass der Judo-Bund …« Das Vereins-Du fiel mir wirklich schwer. »… dich nach der Schlägerei nicht relegiert hat. Selbst wenn du angegriffen wurdest und dich nur verteidigt hast, hätte es dich die Trainerlizenz kosten müssen.«
    »Das musst du nicht verstehen«, sagte sie mit einem eisblauen Blick unter langen Wimpern hervor. »Sieh lieber zu, dass du anständig Judo lernst.«
    Es war mir unmöglich, ihrem Blick standzuhalten. Erst als sie den Quarkteller ins Spülwasser tauchte, hatte ich wieder Luft. »Mir leuchtet aber nicht ein, dass ein sechster Dan einen Menschen mit einer Hantel angreift. Erstens steht zu viel auf dem Spiel und zweitens …«
    Sie schaute auf. »Ja? Und zweitens? Du meinst, ein Seoi-nage mit anschließendem Armhebel sei eleganter?«
    »Zumindest ehrenvoller.«
    Katrin lachte hart. »Bei solchen Geschichten geht es doch nur darum, möglichst gemein zu sein. Da nimmt man eben eine Hantel und demoliert das Auto. Für den Richter macht es keinen Unterschied. Der denkt nur, eine Judomeisterin ist sowieso ein brutales Weib.«
    Ich grübelte: Hatte sie nun oder hatte sie nicht?
    »Ich will dir was sagen«, sagte sie und griff mit ihrer so männlichen Muskulatur so weiblich nach dem Handtuch. »Ich war bei der Verhandlung gar nicht dabei. Mich hat keiner gefragt. Ich habe nur einen Brief gekriegt: sechseinhalb Mo nate auf Bewährung.«
    »Gegen einen Strafbefehl kann man Einspruch erheben.«
    »Damit es zur öffentlichen Verhandlung kommt und alle Zeitungen darüber schreiben? Dann hätte ich meinen Beruf wirklich an den Nagel hängen können. Und beim Fritz war nichts mehr zu holen. Am Ende hätte er es noch so gedreht, dass ich ihm Unterhalt zahlen muss.«
    »Warum wolltest du dich scheiden lassen?«
    In Katrins Gesicht war der spöttische Zug dazu da, Distanz zu schaffen, wenn es um Bitterstes ging. »Warum wohl? Ir gendwann ist das Maß voll. Es hat mich nicht gestört, dass er ständig andere Frauen hatte. Aber dann habe ich mal fünf zig Mark für eine neue Kaffeemaschine gebraucht, und da war nichts mehr da. Kein Pfennig, aber hunderttausend Mark Schulden. Wenn man eine Million Schulden hat, dann helfen einem die Banken, aber hunderttausend, da bist du pleite. Fritz hat immer auf meine Kosten gelebt. Immer!« Ihre blanken Augen wandten sich zur Treppe, der soeben Vicky und die lange blonde Judoschülerin entstiegen. Katrin zog den Stöpsel im Spülbecken und schüttelte die Tropfen von der Hand. »Du hast doch die Zeitung gelesen. Ich soll Fritz an Brust und Armen verletzt haben, aber nicht im Gesicht. Denk mal darüber nach.«
    Dazu kam ich nicht. Die Judomädel langten bei uns an und flackten sich in die Stühle.
    »Na, was geht?«, grüßte Katrin.
     
    Es war überhaupt ein Häuflein der Tapferen, das sich im Dojo zusammenfand: René mit der Hasenscharte, Achim, der schmächtige Pizzafahrer, Figrid, der Kroate, in einem völlig vergrauten Anzug, Sabine, die Französischstudentin mit Rü ckenproblemen, Vicky die Hausfrau mit Essstörungen, ich, die Hyäne mit der Narbe, und der ewig lächelnde Schwarzgurt Wolf, der vermutlich in irgendeinem Amt stempelte. Es waren keine Schläger, die den Ausweg aus der sozialen Krise im Kampfsport suchten. Es waren liebe, hilfsbereite Menschen, denen sonst keiner half.
    Die Stunde begann mit der Verbeugung und beendete all mein Grübeln. Katrin jagte uns durch die Fallschule über Bäl le und Barrieren. Aus der Judorolle, die man wie einen Purzelbaum über Arm und Schulter machte, entwickelte sich der freie Fall, ein Salto, der mit einer knallenden Landung auf der Matte seitlich auf dem Rücken endete. Vicky bestand darauf, mit mir zu üben. Es fehlte ihr nach ihrem gestrigen Erlösungssieg nicht an Entschlossenheit, aber an Koordination. Beim Fassen am Revers kniff sie mir in die Brustwarze.
    Wir übten Sumi-gaeschi, einen der klassischen Siegen-durch-Nachgeben-Würfe, bei dem man sich unvermittelt vor dem anstürmenden Gegner hinsetzte, ihn über sich zog und dabei mit dem Fußrist an der Innenseite seines Schenkels sein Gleichgewicht brach. Es war ein weit verbreiteter Irrtum, dass der Tritt zwischen die Beine nur den Mann zum Jaulen brach te. Vicky versuchte den einen Fehler durch einen zweiten wie dergutzumachen, reichte mir nicht nur die Hand zum Aufstehen, sondern packte mich sogar am Ärmel, um mich hochzuzerren. Ich schlug um mich.
    Katrin unterbrach und ließ uns an der Wand Aufstellung nehmen. Sie führte zusammen mit

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