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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Einen solchen Sturz auf den Asphalt konnte nur ein hochtrainierter Jiu-Jitsuka abfangen. Im Judo wurde man da für disqualifiziert. Sallys schiefer Kiefer mischte sich unter mein schlechtes Gewissen. Was hätte ich denn tun sollen? Die an dern hatten angefangen.
    Aber wer? Der Geruch von Schweiß und Weichspüler war nicht abzuschnauben, ein Weichspüler von der babyöligen Sorte, wie er einem aus Kinderwagen zuweilen entgegenschlug. Diese Mikrofaserjacken waren so verteufelt unverwüstlich, dass ich nichts davon behalten hatte als eine blutige Scharte vom Reißverschluss im Weichteil zwischen Zeigefinger und Daumen. Was hatten sie nur gewollt? Keine Messer, kein Geld oder Leben. Einfach nur Angriff und Flucht. Ein Spuk. Ein Ausbruch von Gewalt. Hatte ich den Ernst überschätzt? Der Treffer an Sallys Kinn war doch nur Zufall gewesen. Was war nun eigentlich passiert, außer dass einer von ihnen liegen geblieben war? Hätte ich nicht wenigstens den Notarzt verständigen müssen? Ich war drauf und dran aufzustehen. Wahrlich, den Verbrecher zieht es an den Tatort zurück.
    Irgendwann fingen die Amseln an zu singen. Der Sänger in den Antennen der Staatsanwaltschaft schmalzte wieder besonders exzessiv.
    Ich hatte mich doch nur verteidigt. Oder? Kann mir jemand sagen, warum ich mich trotzdem schuldig fühlte? Vielleicht haben wir uns den Ernstfall zu oft ausgemalt, haben so oft für ihn geübt, dass man ihn sich letztlich herbeisehnt: die finale Tötungstechnik, den Beweis, dass man es kann.
    Das Telefon weckte mich. Der Schlaf, der alte Verräter, hatte mich am Ende doch um die Albträume gebracht. Es war zehn Uhr durch. Die Redaktionssekretärin des Anzeigers erkundigte sich, wo ich denn bliebe. Elsäßer habe nach mir gefragt.
    Ein Sommermorgen war über die Stadt hergefallen. Die Leute auf der Straße trugen Bunt. Das war ein Tag für Rock, Bluse und Blazer. Ich war schließlich auch nur eine Frau und konnte mich nicht jeden Tag in Kampfausrüstung dem Bestiarium Mensch stellen.
    Darum nahm ich diesmal auch nicht die Straßenbahn, sondern Emma, meinen Golf Cabriolet grünmetallic mit roten Ledersitzen und Alufelgen. Von der Weinsteige aus sah das Städtchen arglos aus: ein Häuserteich im Kessel der Wein- und Waldberge. Selten war mir das Pressehaus oben auf den Fildern unter dem wasserfarbenblauen Himmel vor den Pastelltönen der reifenden Felder so weltfern vorgekommen. Ein Flugzeug startete vor der blauen Kulisse der Schwäbischen Alb. Vielleicht in den Urlaubssüden. Auf dem Betriebsparkplatz blieb Emma nur die Feuergasse.
    Kaum jemals war mir so klar gewesen, wie nötig ich meine Computeroase im Großraumbüro für meine seelische Stabilität brauchte. Elsäßer wollte eigentlich gar nichts. Dem Chefredakteur war nur quer durchs Hirn geschossen, dass wir gestern – erst gestern – über den Toten im Schlachthof gesprochen hatten.
    »Da wird nichts draus«, sagte ich. Eine solche Gelegenheit, eine in einem Anfall von Arbeitswahn übernommene Aufgabe wieder loszuwerden, kam nie wieder. »Die Geschichte wird nicht rund. Es war wohl nur ein Unfall. Ich kann aber auch noch mal bei der Polizei anrufen.«
    Elsäßer kratzte sich mit dem Pfeifenstiel den Bart. »Man muss eine Story auch fallen lassen können, wenn sie keine ist.«
    Pit Hessler saß in Hemdsärmeln in seinem Kabuff und telefonierte. Sein Hemd spannte um die Hüften. Warum Männer im Fall von Pits Umfang dann auch noch weite, steife Bundfaltenhosen trugen, deren Reißverschluss sich gewaltig unterm Bauch bauschte, habe ich nie begriffen. Ein vages Gefühl der Bedrohung rann mir vom limbischen System nahe dem Geruchszentrum durchs Hirn. Der Babyölweichspüler, da war er wieder, dieser Kinderwagenbrodem.
    Pit schob mir ein Polizeifax zu, während er sein Telefonat beendete.
    Überschrift: »Gewaltverbrechen am Park der Villa Berg«.
    »Kümmerst du dich darum?«, fragte er. »Und die Bodybuilding-Weiber, die hätte ich gern für die Seite am Samstag. Den Bericht von den Masters dann für Montag. Schaffst du das? Hast du Primärpartnerinnen? Sonst lass dir vom Sport ein paar Namen und Adressen geben.«
    Wenn die Kollegen so blöde lächelten und goldene Teppi che auslegten, wusste ich wieder, dass ich doch nur eine Fremdsprachensekretöse in zu großen Schuhen war. Alle andern, außer mir selber, hatten längst durchschaut, dass mein Mut zum Weglassen doch nur der Feigheit vor dem Text entsprang. Rock und Bluse waren schuld. Die schüchterten mich immer

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