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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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noch bei Trost? Du kannst Schillers Tod doch nicht so cool aufnehmen, nachdem du dich über Anettes so aufgeregt hast.«
    »Ich habe es heute früh schon in der Zeitung gelesen.«
    Es schillerten zu viele Straßenlaternenpunkte in Sallys Au gen, als dass ich sie durchschaute. »Sally, du hattest nicht zufällig doch was mit ihm, nein?«
    »Iiiiiich? Mit einem verheirateten Mann?«
    »Du sagtest es schon. Aber hat man das immer so unter Kontrolle?«
    Sally hatte endlich selber ein Feuerzeug gefunden und zuckte, während sie die Flamme springen ließ, mit den Schultern. »Ich sagte auch, vergiss es! Hat sich erledigt.«
    »Was?! Was hat sich erledigt. Sally, was?«
    Sie riss plötzlich die Augen auf und ließ die Zigarette sinken. Ihr Entsetzen galt nicht mir, sondern etwas hinter mir.
    Sie kamen zu zweit, wuchtig bis monströs, leise, kraftvoll, eilig, schnell, zwei Schlägertypen in schwarzer Kluft, aber von der fiesen feigen Truppe mit Strümpfen überm Gesicht.
    Zweierlei schoss mir durch den Kopf: Sie tragen Masken, wollen uns also nicht ans Leben, und: Angriff ist die beste Verteidigung. Ein Schaltfehler, denn sinnvoller wäre gewe sen, sofort die Geldbeutel abzuwerfen und wegzurennen.
    Aber anscheinend ging es doch nicht ums Geld. Der, der zuerst anlangte, fuhr sogleich den Turnschuh hoch und traf, da ich mich duckte, Sally am Kinn. Sie japste und fiel um. Ich wäre größenwahnsinnig gewesen, an mein bisschen Judo zu glauben. Aber es gab gar keine andere Wahl. Immerhin wuss te ich aus jahrelangem Training, wie sich der Zusammenprall zweier Körper anfühlte.
    Den Handkantenschlag gegen meinen Hals konnte ich abblocken. Mich darüber zu wundern, dass ich so schnell war, oder der andere eben ziemlich langsam, hatte ich keine Zeit. Reflex ist, wenn sich die Muskeln nur mit dem Rückenmark verschalten, nicht auch noch mit dem Hirn. Plötzlich hatte ich das Kickbein des Kerls unterm Arm. Ich hakelte ihm, als er sich balancierend wegdrehte, von hinten das Standbein weg. Er krachte aus Hüfthöhe der Länge nach auf den Asphalt. Die ausgestreckten Arme knickten unter ihm weg. Der Schädel knallte auf den Eisenpolder und dann auf den Bordstein. Das Geräusch brechender Knochen legte den Grundstein für meine künftigen Albträume.
    Doch da kam auch schon der andere, ein wahres Monst rum, konturlos im Gefunzel der Straßenlaternen, knochenlos, aber muskelhart, packte mich, raubte mir den Boden unter den Fü ßen. Ich krallte mich in eine raschelnde Mikrofaserjacke, roch Schweißmoleküle und Weichspüler. Das Entsetzen total in der Schwebe zwischen Sternen und Asphalt. Der Reißverschluss seines Blousons ratschte durch meine Klammerfinger. Dann fiel ich, fiel auf Gebein und Fleisch, auf den Kerl am Boden.
    Sally schrie gellend: »Senta, komm, fass!«
    Senta hechelte und schlappte mir übers Ohr. Ich sah die schwarze Ungestalt leichtfüßig zwischen geparkten Autos davonhuschen, griff Senta ins vertraut stinkende Fell und streckte den Arm aus. »Lauf, Senta, wo ist das Mäuschen?« Die Hündin machte ein paar optimistische Sätze die Straße hin ab, schnüffelte unter ein paar Autos und kehrte dann zurück.
    Wie Sally den Schrei überhaupt herausbekommen hatte, war mir ein Rätsel. Der Unterkiefer hing ihr irgendwie schief im Gesicht. Ich zerrte sie viel zu heftig auf die Füße. Sie schwankte. Vermutlich setzten eben die Schmerzen ein, und sie wurde sich ihrer schweren Verletzung bewusst. Ich legte den Arm um ihre Hüfte. Die Handtasche störte. Als echte Frau hatte Sally sie keinen Moment losgelassen.
    Ich griff Senta ins Halsband, die von dem Bewusstlosen im Rinnstein nicht lassen wollte. Später rekonstruierte ich, warum ich nicht zweifelte, dass er noch am Leben war. Ein loses Blättchen zitterte vor der Strumpfmaske unter seinem Atem.
    Zwar hätte die Funkhauspforte am nächsten gelegen, aber unter Schock gelten andere Ziele. Ich wollte aus der Straße fort, die sich feindselig krümmte, leer, verlassen, darum gefährlich. Die Frauenklinik Berg lag überdies um die Ecke, und dort endete meine Verantwortung für das jäh zertrümmerte Lächeln meiner Freundin.

11
     
    Die Uhr der Friedenskirche schlug diverse Viertelstunden. Scheinwerfer unten vorbeifahrender Autos schwuppten über die Zimmerdecke. Wenn ich die Augen zumachte, dann sah ich zermatschte Leiber. Das Knacken von Knochen auf As phalt nistete zwischen meinen Ohren. Niemals hätte ich diesem hüftlahmen Kickboxer das Standbein von hinten wegfegen dürfen.

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