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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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unter den Ellbogen und ließ sie dann als Faust unvermittelt aus der Drehung heraus gegen meinen Magen schießen, die Knöchel gerade mal den Hauch meiner Bluse von mir entfernt. Das ging so schnell, dass meine Reflexe nicht mal zum Zurückzu cken reichten.
    Waldemar lächelte so jung wie er war. »Das ist die neunte Bewegung der Kata Heian drei. Du hast doch sicher mal Karate gemacht.«
    »Nein, nie.«
    »Warum nicht? Frauen sind viel gelenkiger als Männer. Und im Karate hat man immer eine Chance, auch wenn der Gegner doppelt so schwer ist. Pass auf.«
    Er nahm mit der linken Hand mein rechtes Handgelenk in die Zange. »Ziehen hat keinen Sinn, ich bin stärker als du. Aber du könntest dir meine Kraft zunutze machen. Hol sie aus mir. Du brauchst keine Angst zu haben, dass du mir wehtust.«
    Ich bedachte, dass ein Tritt gegen das Schienbein zwar wirkungsvoll war, aber nicht die Lösung, die er erwartete.
    »Benutz meine Hand als Drehpunkt!«, lächelte er. »Komm hoch mit deinem Ellbogen. Genau. Und nun ramm ihn mir in den Solarplexus. Das tut so weh, dass der Gegner sofort loslässt.«
    Ich rammte. Er ließ freundlicherweise los.
    »Ich hätte allerdings was anderes versucht«, sagte ich.
    »Dann zeig mir deine Lösung.« Er fasste mich erneut.
    Ich drehte mich schulmäßig in ihn hinein, spürte aber sogleich, dass er mit der Hüfte gegenblockte, so dass ich ihn nicht nach vorne werfen konnte. Er stand wie ein Baum. Na gut, Nerven behalten! Nicht kämpfen! Ich gab nach, schmieg te mich an ihn, und strich schnell und leicht mit der Hand übers Gebammel zwischen seinen Beinen. Er sprang wie angestochen rückwärts.
    Mir zwiebelte das Handgelenk.
    Waldemar zog etwas verlegen den Knoten seines schwarzen Gürtels fester und kratzte sich am Nasenflügel. Die Frage hinter dieser Geste zielte darauf ab, wie ich als Frau mit der Narbe im Gesicht leben konnte, da er, obgleich ein Mann, an seinen Aknekratern verzweifelte. Unnahbar als Kämpfer, war Waldemar im Grunde ein schüchterner Junge. Er sah mir nicht mehr in die Augen, jetzt, da er seine Kampfhaltung aufgegeben hatte.
    »Was würdest du machen«, fragte ich, »wenn du mich tö ten wolltest?«
    »Warum sollte ich das wollen?«
    »Vielleicht, weil … weil ich dich bedrohe.«
    »Karate ist eine reine Selbstverteidigung«, sagte er befremdet. »Jede Kata beginnt mit einer Abwehrtechnik. Wenn du keine Waffe einsetzt, dann mache ich dich nur kampfunfähig. Ich breche dir einen Ellbogen oder zertrete dir das Knie.«
    »Aber du könntest mich töten.«
    »Glaubst du, wir Karatekas seien Killer? Leute, die ihre Minderwertigkeitskomplexe im Kampfsport aufmöbeln und dann losziehen und vor der Disco die Leute umnieten.«
    »Alles schon vorgekommen.«
    »Worauf willst du hinaus?«
    »Ist der Ninja nicht der Unsichtbare, der für die Gerechtigkeit kämpft?«, sagte ich. »Disziplin und Gehorsam ist die Basis der Schulung im Schaolinkloster. Wenn du sagst, es dient einer guten Sache, da ist jemand, dem wir es mal zeigen müssten, hast du nicht ein oder zwei Jungs unter deinen Schülern, die dir blind folgen?«
    »Warum nicht Mädchen? Wenn schon, denn schon!« Wal demar wandte sich unwillig ab und dem Ausgang zu.
    Ich huschte hinterher. »Moment noch.«
    Er fuhr herum. Ich wich zurück, stolperte aber über meine eigenen Füße und landete auf dem Hintern.
    Er streckte die Hand aus. »Du hast ja wirklich Angst.«
    »Gib mir einen Rat«, sagte ich. »Was mache ich, wenn mich zwei Kämpfer gleichzeitig angreifen?«
    Waldemar behielt meine Hand. »Sie werden nie gleichzeitig kommen, denn einen Angriff von hinten gibt es nicht. Deshalb kommen sie nacheinander.«
    Stimmt. Erst hatte mich der Athlet angegriffen, dann hatte mich das Monstrum auf ihn draufgehauen. Einen Angriff von hinten gab es auch im Judo nicht. Man fegte niemandem von hinten das Standbein weg, so dass er sich am Boden die Nase ins Hirn rammte. Ich versuchte, meine Hand Waldemars Fingern zu entwinden. Er lächelte freundlich.
    »Ich würde dir nicht raten, dich noch einmal einzudrehen. Du bötest mir eine allzu gute Gelegenheit, dir ins Genick zu schlagen.«
    Ich hatte schon kapiert, dass ich um Mitternacht keinem Meister gegenübergestanden hatte, auch nicht einem Karatekämpfer, und schon gar nicht einem Jiu-Jitsuka, der den Fall aufs Gesicht mit den Unterarmen abfangen konnte. Der Athlet war im Grunde langsam gewesen, aber dafür hatte das Monst rum eine ziemlich wirkungsvolle Technik eingesetzt.
    »Hast du schon

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