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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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rufen Sie an? Sind Sie in der Redaktion?«
    Seltsame Frage. »Sie schreiben in Ihrer Pressemitteilung«, fuhr ich mit meinem Frageprogramm fort, »das Opfer schwe be in Lebensgefahr. Wie geht es dem Opfer jetzt?«
    »Das … das kann ich Ihnen im Moment nicht sagen.«
    Dass der Pressesprecher etwas nicht wusste, war nicht alarmierend, aber mein Gewissen diktierte mir eine andere Interpretation. Im Grunde war es für die Polizei nicht schwierig, mich als Täterin zu identifizieren. Der Funkhauspförtner erinnerte sich an die Leute, die um Mitternacht das Haus verlassen hatten. Eine Technikerin hatte mich vor der Tür stehen sehen. Selbst wenn sie meinen Namen nicht wusste, sie konn te mein vernarbtes Gesicht beschreiben. Und wenn das Opfer tatsächlich Bleibtreu war, dann war die Verbindung zum Schlachthof und dem dortigen Todesfall schnell hergestellt und mein Name herausgefunden. Man sollte die Polizei niemals unterschätzen. Ich hätte unbedingt heute Nacht Anzeige erstatten müssen. Schließlich waren wir angegriffen worden, und ich hatte Sally und mich lediglich verteidigt. Wenn auch womöglich zu aggressiv, zu gewalttätig, zu maßlos.
    Bevor ich mich aber diesem und dem Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung stellte, musste ich wissen, ob ich wirklich Horst Bleitreus Schädel geknackt hatte.
    Ich meldete mich zur Recherche ab und fuhr zum Schlachthof.
    Auf dem Parkplatz standen die Zweitwagen, Golfs und Po los, ein offener BMW. An der Rezeption saß niemand. Gertrud war im sonnigen Maschinensaal mit einer Gruppe von Frauen zugange. Gymnastik statt Mittagessen, so die Art. Da trainierte ein Schlag von Frauen, die nichts mit den geschürzten Träubleskuchen-Bäckerinnen gemein hatte, die sich später zu einer Oma Scheible entwickelten. Sie gehörten einem Geschlecht an, das sein Glück in fettfreier Bronzehaut und fester Muskulatur sah.
    Gertrud richtete sich aus der Glutaeus-Maschine auf. Das Gerät isolierte den großen Gesäßmuskel durch einbeinige Arbeitsweise. Wahrscheinlich waren Gertruds Hinterbacken jetzt heiß und fest. Ihr Gesicht jedenfalls war gerötet, die Halsschlagader klopfte eifrig, in den blauen Augen stand feuchte Lust. Sie sah mich an wie eine frisch Verliebte, weich und offen, durchblutet von warmen Gefühlen, zu kraftvoll geschmeidiger Hingabe bereit. »Frau Nerz, kann ich Ihnen helfen?«
    »Mir kann keiner helfen. Ist Horst da?«
    »Der kommt erst am Mittag.« Mittag war das schwäbische Wort für Nachmittag. Immerhin hatte es noch keinen Hiobs-Anruf gegeben. Die kleine Hoffnung blieb, dass mein Opfer ein anderer war.
    Ich stieg die luftige Treppe hoch. Die Stahlkonstruktion bebte bei jedem Schritt, schwang und sang. Am Treppenabsatz im ersten Stock puffte ich gegen Fängele. Sein Gesicht schwabbelte am Schädel, als er zurückprallte.
    »Ach, Frau Nerz! Wie hübsch! Der Rock steht Ihnen. Sollten Sie öfter tragen. Was führt Sie hierher?«
    Ein Hauch von Babyölweichspüler wehte mich an.
    »Aber ein bisschen blass sehen Sie aus«, bemerkte er.
    »Sie aber auch.«
    »Ach, die plötzliche Frühlingswärme, der Wetterumschwung«, seufzte er.
    »Sie sollten ein bisschen Sport treiben, Herr Fängele. Kraftsport bei niedrigem Blutdruck, Aerobic, wenn er zu hoch ist.«
    Fängele schüttelte seinen Schädel unter den Wellen von Fleisch und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Ich würde sagen, Aspirin tut’s auch. Schaltet den inneren Thermostat im Hirn auf Kühlung. Wussten Sie das? Biochemie, eine hochinteressante Sache. Ich habe mal ein paar Semester Pharmazie studiert. Wozu sich abrackern, wenn es Medikamente gibt. Hätten Sie nachher mal ein paar Minuten für mich? In einer halben Stunde? Auf einen Kaffee in meinem Büro?«

12
     
    Katrin Schiller war auch nicht da. Theke, Spüle, Vitrinen mit Pokalen, grauer Teppich, die weißen Wände der Dojos, die offenen Glastüren, die geschlossenen Umkleideräume, tro ckene Klos, stille Duschen. Ich kam mir vor wie ein Einbrecher. Aber da war doch jemand.
    Waldemar befand sich allein im Kampfanzug im Dojo und übte eine Kata. Er wehrte sich gegen mehrere imaginäre Gegner mit einer Choreografie aus Sprüngen, kickenden Füßen und vorschießenden Fäusten, untermalt von Schreien. Dann stand er plötzlich still und wandte mir das vernarbte Gesicht zu.
    Ich stieß die Schuhe von den Fersen, verbeugte mich und betrat die Matte. Er machte einen Ausfallschritt, streckte die rechte Hand gegen mein Kinn, nahm dabei die Linke

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