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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Mann wirkte eigenartig furchtlos. Er hätte mich schon längst rauswerfen können. Vermutlich gab es sogar Alarmknöpfe in diesen Büros. Aber Weber hatte offenbar – auch wenn er es nicht zeigte – seinen Spaß an meinen Kapriolen.
    »Hatte Schiller überhaupt eine reelle Chance«, fuhr ich mit meiner Show fort, »bei so viel versammelter taktischer Intel ligenz, über die eine Judomeisterin, ein Karateka und ein Jurist verfügen?«
    »Sie haben eine blühende Fantasie.«
    »Und Sie? So wie Sie gestern im Bistro saßen, wussten Sie schon, dass Schiller tot auf seiner Drückbank lag, noch bevor Horst ihn fand und wir alle nachgeschaut haben. Sie mussten gar nicht hinschauen, als Sie Katrin wegzogen.«
    »Oh!« Weber lächelte plötzlich entwaffnend. »Ich schaue nie hin. Ich kann nämlich keine Leichen sehen. Ich kippe sofort um. Deshalb bin ich auch nicht im Morddezernat. Der Staatsanwalt muss nämlich bei der Obduktion dabei sein.«
    Ich musste lachen und deutete auf die Akte. »Dennoch interessiert Sie der Fall. Obgleich Sie gar nicht ermitteln.«
    »Auch Sie waren zum Tatzeitpunkt am Tatort, Frau Nerz.«
    »Ich habe ein lückenloses Alibi. Erst Gertrud, dann Training mit Horst, dann Wettturnen mit Ihnen, dann ein Gespräch mit Fängele.«
    »Auch Frau Schiller hat ein Alibi«, sagte er. »Sie hat vier Schwarzgurte trainiert, von acht bis zum Leichenfund um Viertel vor neun. Das rechtsmedizinische Gutachten schätzt den Todeszeitpunkt aufgrund der vorgenommenen ersten Untersuchungen und der dabei festgestellten Leichenerscheinungen auf zwischen acht und halb neun.«
    »Hat Katrin denn schlag acht mit dem Training begonnen, oder würde es das rechtsmedizinische Gutachten arg aus der Bahn werfen, wenn der Tod eine Minute vor acht eingetreten wäre?«
    Weber unterdrückte ein Schmunzeln. »Solche Schätzungen schöpfen den äußersten Rahmen des Möglichen aus. Wahrscheinlich starb Schiller zwischen Viertel nach acht und halb neun. Waldemar Müllers Karateunterricht ging um Viertel nach acht zu Ende. Aber danach steht man ja immer noch mit den Schülern herum. Und Horst Bleibtreu befand sich nach eigener Aussage zwischen kurz vor acht und kurz nach halb neun in den unteren Umkleideräumen, um einem Kunden zu helfen, der die Nummer des Schließfachs vergessen hatte.«
    »Ja«, sagte ich. »Sport macht vergesslich.«
    Weber hob die Brauen.
    »Fünfzigjährige Langstreckenläufer«, gab ich mein gerade erst vorhin angelesenes Wissen zum Besten, »weisen deutlich mehr Lücken im Kurz- und Mittelstreckengedächtnis auf als gleichaltrige Unsportliche.«
    »Soso.«
    »Jedenfalls kann ich bestätigen, dass kurz vor acht einer kam und Horst um Hilfe bei den Schließfächern bat. Wieso hat das aber so lange gedauert?«
    »Das entzieht sich meiner Kenntnis.«
    »Nun gut. Wir glauben also, dass Horst ein Alibi hat. Bleiben immer noch Sie selbst. Bis zehn vor halb neun kann ich Ihnen eines geben.«
    »Sehr nett. Danke.« Weber faltete die Hände auf der Ak tenmappe, die unangezündete Zigarette zwischen den Fingern.
    »Und was ist mit Fingerabdrücken?«, erkundigte ich mich unverdrossen weiter.
    »Sie meinen vermutlich die auf der Drückbank.«
    »Sie war immerhin nietennagelneu. Schiller hatte sie kurz vor seinem Tod aufgebaut. Viele können da also noch nicht rangegangen sein.«
    »Was Sie nicht alles wissen.«
    »Gell.«
    Weber zündete sich die Zigarette an. »Horst Bleibtreus Abdrücke sind auf der Bank, am Stahlrahmen. Er hat sie zusammen mit Schiller hochgetragen. Außerdem …«, Webers Blick bekam etwas Herausforderndes, »… außerdem befanden sich Schillers Abdrücke ordnungsgemäß an der Stange.«
    »Das wundert mich aber«, sagte ich. »Die Stellen, wo man sie anfasst, um sie hochzudrücken, sind aufgeraut. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie verwertbare Abdrücke annehmen.«
    »Aber Sie können sich vorstellen, dass Schiller die Stange beim Aufbauen angefasst hat und dass er sie mit Gewichten bestücken musste, bevor er sich darunterlegte. Das tat er den Abdrücken zufolge selbst. Es sind außer seinen keine anderen drauf.«
    »Also doch bloß Selbstmord?«, seufzte ich.
    »Eher wohl ein Unfall, nicht?«
    »Und warum stöbern Sie dann hier wie ein Dieb in fremden Akten?«
    Der Oberstaatsanwalt musterte mich mit seinen milchkaffeebraunen Augen vom Schlips bis zum Gürtel. »Frau Nerz«, sagte er mit ironischem Unterton, während er die Kippe im Aschenbecher tötete, »ich denke, Sie haben jetzt Ihre Show

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