Gaisburger Schlachthof
heran, ohne sich auch nur im Mindesten zur Hektik verführen zu lassen, fuhr an der Dojotür in japanische Schlappen mit Zehenteiler, sah mir prüfend ins Gesicht, löste den Gürtel, zog sich den Kittel von den sehnigen blassen Schultern – er hatte Sommersprossen auf dem Rücken –, hängte Gürtel und Kittel über den Stuhl an der Theke, zog sich ein weißes Sweatshirt über und setzte sich die Stahlbrille auf. Dann wandte er sich noch einmal zu mir um. »Das also hast du versucht mir zu sagen. Wenn ich dich richtig verstanden habe, waren es zwei, und es war Notwehr.«
Ich nickte.
In Waldemars Gesicht war keine Spur seines pockennarbigen Bubencharmes mehr, als er sich der Treppe zuwandte.
Wenn ich nicht einem Wahn erlag, dann saßen jetzt zwei Streifenpolizisten unten bei Fängele im Büro und teilten ihm mit, dass der Mitarbeiter Horst Bleibtreu nicht zum Dienst erscheinen werde.
Also doch Horst!
Umso weniger wollte ich den Bullen jetzt in die Arme lau fen. Hier oben befand sich der Notausgang hinter den Duschen.
Ich tappte die Außentreppe hinab. Der Streifenwagen stand neben meiner Emma. Da das Fenster von Fängeles Büro auf den Parkplatz ging, wandte ich mich in die andere Richtung über die Politikbrache hinter dem Schlachthof. Die alten Hallen waren längst abgerissen, über die Neubauten stritten sich die Gemeinderäte. Inzwischen sprossen Gras und Kräuter aus den Erdhügeln. Links an der Mauer entlang der Wangener Straße standen die Bäume im ersten zarten Grün. Im Norden türmte sich der Gaskessel in den Himmel. Gen Osten an der Schnellstraße am Neckar würfelten sich Büros, Lagerhallen und Garagen einer Spedition. Sie öffnete ihr Rolltor zur Schlachthofstraße, die eher einem Dorfplatz ohne Dorf ähnel te, degradiert zum Zufahrtlieferanten der umliegenden Speditio nen. Die ehrwürdigen Giebelhäuser mit Arkaden hatten ihren Denkmalschutz behaupten können.
Die Straßenbahnhaltestelle Schlachthof lag am Gaskessel. In der Frauenklinik Berg erfuhr ich, dass Sally ins Kathari nen- Hospital verlegt worden war. Ich fuhr wieder zwei Haltestel len und erklomm die achtzig Stufen zu Sallys Wohnung, um den Katzen Wasser zu geben und Senta rauszuschaffen. Danach verfluchte ich Rock und Pömps. Bevor ich ins Katharinen-Hospital reiste, musste ich heim, mir was anderes anziehen.
13
Oma Scheible stand der Polizei nicht ablehnend gegenüber. Im Gegenteil. Ihr war jeder Besuch recht, den sie zwingen konnte, ihren Geschichten zuzuhören, in die sie, wenn bei den Beamten Ungeduld aufkam, ein paar Informationen über den Lebenswandel der Hausbewohner einstreuen konnte. Die Polizisten standen im Treppenhaus.
»Da isch se scho!«, sagte Oma Scheible.
Ich blickte auf die grünen Dienstausweise von Oberkommissar Christoph Weininger und Kriminalkommissar Helmut Heiliger. Heiliger war lang und dünn und trug eine rote Brille. Christoph Weininger trug im Dienst Jeans auf schmalen Hüften und ein zerknittertes grünes Hemd. Er war ein hellhäutiger Kleiner mit grauen Augen, auf dessen Gesicht die Biergemüt lichkeit schnell in Strafbarkeitsvermutung umschlagen konn te. So wie jetzt. »Frau Nerz, Lisa Nerz? Wir müssen Sie bitten, uns zur Feststellung Ihrer Personalien zu begleiten.«
»Aber Sie haben meine Personalien bereits«, erklärte ich. »Ihre Kollegen haben sie am Montagabend im Schlachthof aufgenommen. Erinnern Sie sich nicht?«
»Jetzt geht es um etwas anderes«, antwortete Weininger. »Kommen Sie bitte mit.« Er fasste mich am Ellbogen.
Ich dachte an Waldemars Unterweisung, beschränkte mich aber auf einen Befreiungsruck. Es hatte sich sonst schnell mit Widerstand gegen die Staatsgewalt.
»Ich habe jetzt gerade gar keine Zeit«, verkündete ich. »Ich muss ins Krankenhaus.«
»Oh! Send Se krank?«, fragte Oma Scheible hoffnungsvoll.
»Frau Nerz, wollen Sie es wirklich auf eine Vorladung ankommen lassen?«, warnte Weininger.
»Na gut, aber wenn ich irgendwelche Einlassungen ma chen soll, dann nur in Gegenwart von Oberstaatsanwalt Weber.«
Die Polizisten blickten sich an, als hätten sie es mit einer Irren zu tun. Was so verkehrt nicht war. »Weber ist nicht der ermittelnde Staatsanwalt«, sagte Weininger.
»Ich weiß. Trotzdem! Es geht auch ihn was an.«
Der gelbliche Zivil-Audi stand am Straßenrand im Halteverbot. Grünliche Wolken hatten sich im Westen zusammengezogen. Ein garstiger Wind fegte an den Häuserfronten entlang.
Sie brachten mich gleich hinauf in die damalige
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