Gaisburger Schlachthof
Landespolizeidirektion II in der Hahnemannstraße am Pragsattel. Im Entree roch es nach Kantinen-Gurkensalat. Noch war das Geschirrklappern nicht ganz verstummt. Der Fahrstuhl ähnelte einem Lastenaufzug und war verkratzt wie eine Gefängniszel le. Weininger ließ sich oben im Vernehmungsraum des Dezer nats für Gewalt- und Tötungsdelikte meinen Ausweis geben und tippte die Personalien in ein Formular, ganz Konzentration auf zwei Finger und Tippfehler. Dann wandte er sich mir zu. Ich unterbrach ihn und wies ihn noch einmal darauf hin, dass ich nur dann etwas sagen würde, wenn Oberstaatsanwalt We ber dabei war.
Eine uniformierte Beamtin harrte über eine halbe Stunde schweigend bei mir aus. Ich studierte den Linoleumboden, die ausgelatschten Schuhe der Beamtin, die von nervösen Absätzen zerkratzten Stuhl- und Tischbeine, die Furniertische, das kleine Fenster, das ein drohender Himmel verhängte, und die alte Schreibmaschine auf dem Beistelltisch und dachte über Verhörmethoden und die karge finanzielle Ausstattung der Ermittlungsbehörden nach. Was verdiente so ein Oberkommissar Weininger eigentlich? Mit Sicherheit weniger als ich. Davon musste er womöglich eine Familie ernähren. Und dann hatte er es mit solchen Kotzbrocken wie mir zu tun, die den freiheitlichen Rechtsstaat und die gesamte Pressefrechheit hinter sich wussten.
Endlich kamen sie, Weininger, ein Hauptkommissar Keitle und – tatsächlich – Oberstaatsanwalt Dr. Richard Weber, bis in den Schlips korrekt und teuer. Er wich meinem um Verschwörung heischenden Blick aus. Seine Augen rutschten sofort von meiner Narbe ab und an Bluse und Rock hinunter bis zu meinen Pömps. Ich zwängte einen weiteren Mosaikstein in seinen Charakter: Er war nicht der Typ, der sich gern vereinnahmen ließ, aber er war neugierig, sonst wäre er nicht gekommen.
Niemand machte sich die Mühe, mir die Protokollbeamtin vorzustellen, die den Kaffee mitbrachte und an der Schreibmaschine zunächst nur Nägel kaute.
»Wenn es um die Sache am Funkhaus geht«, plapperte ich los, noch ehe Weininger seine Zigaretten auf den Tisch gelegt und Keitle sich eingehüstelt hatte, »so versichere ich Ihnen, dass ich aus purer Notwehr gehandelt habe.«
Weber schaute zum Fenster hinaus, und Weininger lehnte sich zurück, die Hand auf der Zigarettenschachtel. Die Feindseligkeit zwischen dem Polizisten und dem Staatsanwalt war unübersehbar. Eine Art gespannter Waffenstillstand.
»Es waren zwei Angreifer«, fuhr ich fort. »Ich weiß nicht, wer sie waren. Sie waren maskiert. Der eine zerschlug meiner Freundin Sally gleich beim ersten Angriff die Kinnlade. Das war der, der dann am Park verletzt gefunden wurde. Der ande re warf mich zu Boden. Als Sallys Schäferhündin kam, ließ er ab und rannte weg.«
»Der Reihe nach«, sagte Weininger. »Könnten Sie das ein bisschen genauer schildern?«
Ich nahm mir Kaffee und schilderte es genauer.
Weiningers Miene blieb skeptisch, Webers verschanzte sich hinter schwäbischer Unerregbarkeit, während in mir das Grauen der Nacht wieder hochkam und mir die beklemmende Ahnung bescherte, ich könnte die Situation doch falsch eingeschätzt haben.
»Und Sie haben einfach einen Schwerverletzten auf der Straße liegen lassen«, sagte Weininger nicht nur tadelnd, sondern entrüstet.
»Sally war auch schwer verletzt und musste ins Krankenhaus. Außerdem wollte ich weg. Ich hatte Angst.«
»Warum haben Sie keine Anzeige erstattet? Sie wurden doch angegriffen, wie Sie sagen.«
Die Protokollbeamtin starrte aus dem Fenster.
»Eine gute Frage«, antwortete ich. »Ich weiß es nicht. Vermutlich der Schock.«
»Schock?« Weininger erlaubte sich ein ungläubiges Lächeln. »Wissen Sie, was ich vielmehr glaube? Sie hätten keine Anzeige erstatten können, denn Ihre Geschichte stimmt nicht. Warum haben Sie heute Morgen die Redaktion so hastig verlassen? Warum haben Sie sich im Schlachthof durch einen Hinterausgang abgesetzt, als Sie erfuhren, dass die Polizei unten wartete? Übrigens nicht wegen Ihnen.«
Weber gönnte mir einen verwunderten Blick.
»Frau Nerz«, legte Weininger nach, »ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie sich der Strafbarkeit Ihrer Handlungen sehr wohl bewusst waren und sind.«
»Mein Bewusstsein befand sich schon immer in äußerst fragwürdigem Zustand«, erwiderte ich.
Ein Lächeln zuckte Weber an. Weiningers Miene verfinsterte sich. »Sie sprechen von einem Angriff zweier Personen und führen an, Sie hätten sich in einer
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