Gaisburger Schlachthof
seiner Stirn. »Ich verstehe nicht?«
»Vicky Stenzel liegt gerade auf Entzug eine Tür weiter. Das Zeug hat sie von Schiller bekommen.«
»Ausgeschlossen!«
»Aber, Herr Fängele! Es ist nur eine Frage der Zeit, dass auch die Polizei darauf kommt, dass hier mit grenzwertigen Mitteln gehandelt wird. Womöglich exhumieren sie dann so gar Anette. Ich könnte die Sache auch beschleunigen und der Po lizei einen Tipp geben. Und sollte Christoph Weininger irgendwie in dem Handel mit drinstecken, dann gibt es einen Riesenskandal. Das garantiere ich Ihnen.«
»Wollen Sie mir drohen?«
»Ach, woher denn! Ich sage es Ihnen nur, unter Freunden. Sie sind mir nämlich ebenfalls sympathisch.«
Gotthelf Fängele schwieg massig hinter seinem Schreibtisch.
Ich stand auf. »Ach, übrigens. Sie lassen Vicky Stenzel hier umsonst turnen?«
Fängeles Blick wanderte zu seinen Sportbüchern. »Ich bin doch kein Unmensch. Den Stenzels geht es nicht so gut.«
»Dann räumen Sie also ein, dass Stenzel bei Ihrer Olympic- Pleite für Sie die Kohlen aus dem Feuer geholt hat?«
Die Elefantenaugen blinzelten mich an. »Ihnen gegenüber räume ich gar nichts ein. Und sollten Sie irgendetwas in die ser Richtung schreiben, dann haben Sie einen Tag später eine Verleumdungsklage am Hals.«
17
Im Gang zum Klo kam mir Gertrud entgegen. Ich spürte ihre Abneigung beinahe körperlich.
»Wie geht es Vicky?«, fragte ich. »Sollte man nicht den Notarzt rufen?«
»Ein Arzt war gerade bei ihr. Einer unserer Kunden. Er meint, es sei nur eine kleine Unpässlichkeit infolge des Wet terumschwungs. Außerdem hat Vicky ja ganz schön was in tus, nicht?« Gertrud hatte etwas Antialkoholisches, wie sie so vor mir stand, ganz Organisationstalent in Turnhosen. »Am bes ten, Sie bringen Vicky jetzt nach Hause.«
»In Ordnung.«
Wir standen uns gegenüber. Der Kinderwagen, ein Behälter mit Handtüchern und ich versperrten Gertrud den Ausgang aus der Sackgasse. Sie machte einen Schritt, der mich normalerweise hätte beiseitescheuchen müssen. Aber ich blieb stehen.
»Würden Sie mich bitte vorbeilassen?«, ordnete Gertrud an und versuchte, ihrem Autoritätsgefühl noch ein paar Zentimeter hinterherzuwachsen. »Was wollen Sie denn noch?«
Das war mit Worten schwer zu erklären. Es hatte etwas mit feinen festen Muskeln unter Bronzehaut zu tun, mit kleinen Mädchenbrüsten unter einem Trägershirt und der schamlosen Naht einer Gymnastikhose vom Nabel hinab zwischen die Schenkel.
»Sie glauben doch nicht wirklich, dass ich Horst zum Krüppel geschlagen habe?«, sagte ich.
Doch, sie glaubte es. Das sah ich.
»Wer in den Krieg zieht, kommt darin um«, behauptete ich verärgert. »Und wenn Sie weiterhin schweigen, dann trifft es vielleicht auch Sie oder Ihren Mann. Sie haben Angst, Ihr Mann hat Angst. Das ist unübersehbar. Womöglich ist er der Nächste.« Ich stellte mir die Knochenarbeit vor, bei dem Ele fantenbaby bis zu den lebenserhaltenden Systemen vorzudrin gen. »Es sei denn, Sie sagen mir endlich, worum es hier eigentlich geht.«
»Gotthelf hat niemanden umgebracht«, sagte Gertrud schrill.
»Das behaupte ich doch gar nicht. Aber ich glaube, dass Schiller Anette mit Schlankheitsmitteln umgebracht hat. Und wenn Sie etwas von dem Handel wissen oder ihn geduldet haben, dann rächt sich Anettes Rächer vielleicht auch an Ihnen.«
»Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden«, sagte Ger trud mit Ekel im Gesicht. »Schlankheitsmittel kann man über all kaufen, wirklich überall!«
»Aber Sie sind hier alle wie paralysiert, seitdem Anette tot ist.« Ich dachte an Sallys Verstocktheit. Auch sie hatte Angst. »In diesem Laden hier gibt es einfach zu viele Spiegel. Sie zeigen nur die Bodys und versperren den Blick auf den Irrsinn dahinter.«
»Sie müssen ja nicht hinschauen.«
In Gertruds Augen zuckten Funken eines irrwitzigen Hasses, eines fanatischen Fatalismus, einer eingefleischten Überzeugtheit, dass es zur Schlankheit keine Alternative gab, nie und auf keinem Ort der Welt. Und es war nicht der Elefantengatte, der von seiner Frau die Turnerinnenfigur forderte. Es war der Dialog mit dem Spiegel, der zur erbarmungslosen Selbstkritik führte und Anette verführt hatte, sich aus ihm herauszuhungern.
Ich fasste Gertrud am Kinn. So starr war sie vor Angst und Ablehnung, dass sie sich nicht wehrte.
»Passen Sie auf, Gertrud. Sonst sind Sie bald auch weg!«
Ihre Lippen waren unfähig, irgendetwas zu formen.
»Aber keine Angst, ich tue Ihnen
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