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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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angestrengtem Lächeln in der Hackenschmidtmaschine und sein »Gestatten, Dr. Richard Weber« und anderes schob ich beisei te, bis nur noch der Artikel über Rosanna Weber liegen blieb. Ich strich ihn auf der Theke glatt.
    Weber wurde aschfahl.
    »Hat Schiller das gewusst?«, fragte ich.
    Der Oberstaatsanwalt steckte den Prospekt in den Ständer zurück, zog Hand und Arm von der Theke, zog überhaupt alles an sich und in sich zurück, was Männer sonst so rund um sich herum im Raum verteilen: Atem, Aura und Arroganz.
    Aber er hatte Glück, oder ich hatte Glück: Er bekam eine Gnadenfrist. Denn in diesem Moment erschien Katrin wieder. Frisch und taubenblau im Sommermantel mit Seitenschlitzen und Besätzen über ihrem herbstlaubfarbenen Kostüm. Ihre Haare flossen wie Messing, ihre Augen leuchteten.
    Ich schob die Zeitungsausschnitte zusammen.
    »Gehen wir, Richard?«, fragte sie. »Ich habe Hunger!«

18
     
    Der Tag begann sonnig. Ich versorgte Sallys Katzen, schaffte den Hund vor die Tür und ließ mich vom Taxi zum Krankenhaus bringen.
    Die neue Fassade des Katharinen-Hospitals hatte etwas von einem Museum: Freitreppe, Pfeiler und Touristeninformation. Ich fand die Unfallmedizin mit schlafwandlerischer Sicherheit. Einen Ort, den man zweimal überlebt hat, betritt man wie ein Sieger. Hier hatte Sally mich gerettet, als die Infusion einen Schock auslöste, die dazu dienen sollte, mich zu beruhigen. Inzwischen konnte ich es meiner Mutter verzeihen, dass sie es gewesen war, von der ich erfuhr, dass mein Mann, Todt Gallion, unseren Autounfall nicht überlebt hatte. Sie ging einfach zu gern auf Beerdigungen, als dass sie es hatte verheben können, mir von der schönen Leich’ zu erzäh len. Man musste mich im Bett festbinden und setzte mich un ter Drogen. Sally drehte den Tropf ab und alarmierte die Ärzte.
    Sie jubelte auf, als ich das Dreibettzimmer betrat. Sie bekam zwar den Mund nicht auf, aber sie konnte Töne ausstoßen. Ein Gestell umgab Kiefer und Kopf wie ein Astrolabium. Vom Planeten Erde und von der Venus fuhr ihr ein Stahlstab senkrecht in den Kiefer. Aber sonst ging es ihr gut.
    »Soso«, sagte ich, »sogar Staatsanwälte empfängst du hier.«
    »Hmhmmhmmm«, machte sie und verdrehte die blauen Augen. Die beiden Mädchen in den Nachbarbetten schielten herüber. Eine hatte das Bein in Gips, die andere den Arm im Hänger.
    Sally griff zu einem Schreibblock und kritzelte: »Netter Mann.«
    Sogar der Bleistift machte das Wort »Mann« zu einem Er eignis komplexer Verheißung. Wenn Sally es aussprach, wirk te es stets noch schicksalhafter. Weber konnte offensichtlich sehr charmant sein, wenn er wollte.
    »Was wollte er denn von dir?«
    »Hmhammm«, stieß Sally aus, machte eine weitschweifige Armbewegung und notierte dann ernst: »Was ist mit Horst?«
    »Hat Weber dir nicht gesagt, dass Horst im Koma auf der Intensivstation liegt?«
    Sallys Augen blauten überwach zwischen den Bandagen. Der Bleistift wollte schon nicht mehr recht mit der Schrift heraus. »Das ging gegen mich.«
    »Ach was, red dir das nicht ein.«
    »Doch!«, fuhrwerkte der Stift. »Humhm!«, bekräftigte Sal ly und nickte so heftig, dass das Astrolabium zitterte und sie vor Schmerzen grunzte.
    »Aber wieso denn, Sally?«
    »Mit Schiller gestritten. Gesagt, kenne jemanden von der Zeitung.«
    »Oje! Warum das denn?«
    Stichwortartig nahm ein Irrsinn Gestalt an, zu dem nur meine Freundin Sally fähig war: Anette aß im Tauben Spitz Kässpätzle, Sally neidete ihr die Figur, Anette lud sie zum Aerobic in den Schlachthof ein. Sally hüllte sich in weite T-Shirts und hüpfte über Podeste. Schiller nahm sich ihrer an, sprach über Ernährungsfragen und zeigte ihr die Kopie einer Zeitschriftenwerbung für ein Schlankheitsmittel namens Adipoclear, das es vorerst nur in der Schweiz gab. Trotzdem sei alles legal und das Mittel praktisch ohne Nebenwirkungen. Regelmäßige Blutuntersuchungen müssten jedoch gemacht werden. Sally ignorierte, dass er kein Arzt war, sondern Sportlehrer, war beeindruckt von dem medizinischen Zauber. Es kam ihr alles sehr fundiert vor. Da nahm sie auch den Schockpreis des Mittels in Kauf. 198 Mark für 14 Tage. Sie verlor in der ersten Woche fünf Pfund und in der zweiten vier und orderte die nächste Packung. Doch das Glück war zu En de. Sally verlor kein Pfund mehr. Schiller bedauerte, Schwan kun gen kämen vor, jeder Organismus reagiere anders, sie solle Geduld haben. Sally entdeckte in einer deutschen Zeitschrift dieselbe

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