Gaisburger Schlachthof
noch billig weg, wenn er mich bei sich trainieren lässt.«
Ich betrachtete den pompösen Fernseher und das Videoge rät. »Und das Haus? Dein Mann sagt, es gehört euch nicht mehr.«
In der Küche brach scheppernd ein Geschirrberg zusammen. Ich sprintete hinüber. Martin stand verwundert vor den Scherben in Tomatensoße. Bellinda kroch zielstrebig auf den Schmodder zu. Ich klaubte sie vom Boden und ließ mir von Martin zeigen, wo die Schokoriegel versteckt waren. Bellinda ließ ihren umgehend runterfallen. Ich nötigte Martin mit einem in Aussicht gestellten Eis das Versprechen ab, sich und seiner Schwester Schuhe und Jacke anzuziehen. Dann kehrte ich ins Wohnzimmer zurück, nahm Vicky die Flasche weg und schlug einen Spaziergang zum Schlachthof vor, um Em ma abzuholen und ein Eis zu essen. Vicky blieb apathisch auf dem Sofa hocken, während ich den Kindern in ein sauberes T-Shirt und in die Jacken half. Bellinda bekam kurz die Krise, als sie ihre Hausschuhe mit Hasenohren gegen Straßenschuhe vertauschen sollte. Ich schickte Vicky ins Bad, sich das Gesicht waschen. Martin knallte die Haustür auf und zu und verlangte, dass wir gingen. Bellinda begann, sich die Schuhe wieder auszuziehen. Vicky saß neben dem Waschbecken auf dem Schmutzwäschekorb und stierte vor sich hin. Unten veranstaltete Martin ein Sturmklingeln. Ich zog Vicky die Treppe hinab, half ihr in eine grüne Jacke, die sich mit den orangeroten Schlabberleggins biss. Nun wollte Martin sich von seinem Plastikraumschiff nicht trennen. Dennoch geschah das Wun der, dass wir endlich auf der Straße standen, Bellinda im Buggy, Vicky an dessen Griffen, Martin mit dem Raumschiff und ich völlig erschöpft.
Eine sanfte Dunkelheit lag in den Gassen. Mücken zwirbelten um die Straßenlaternen. Vorn tobte der Autoverkehr die Talstraße hinauf und hinunter.
»Vicky? Sag mal …«
»Ja?«
»Hattest du was mit Schiller?«
»Gott, was ist schon Sex? Dem ging es immer um ganz was anderes.« Vicky gluckste vor sich hin. »Fritz wollte keinen Sex, nicht wirklich. Der wollte eigentlich nur das eine.«
Ich kam mir vor wie ein Volleyballspieler auf einem Fußballfeld. »Was denn?«
»Was Männer im Grunde immer wollen: Macht. Geld und Macht. Frauen in totaler Abhängigkeit.« Vickys Glucksen ging nahtlos in Schluchzen über.
Die Fußgängerampel an der Kreuzung wurde grün. Martin stürzte seinem Raumschiff hinterher auf die Fahrbahn. So wie er rannte, würde er ungebremst über die Fußgängerinsel hi naus schießen und auf der anderen Fahrbahn unter die Räder kom men. Ich verfluchte solche Ampelschaltungen und sprintete hinter dem Jungen und seinem mit Lichtgeschwindigkeit fliegenden Raumschiff her. Als ich ihn an der Schwelle zur Fußgängerinsel am Kragen erwischte, leuchtete drüben das kleine grüne Männchen auf. Vicky kam mit dem Kinderwagen vergleichsweise gleichmütig vor sich hin heulend hinterher.
Ich erklärte Martin, dass es für den Piloten seines Raumschiffs sicherlich eine Herausforderung darstellen würde, dicht an den Häuserwänden entlangzufliegen. Auch wenn Martin durchschaute, dass ich ihn vom Verkehrsfluss am Straßenrand weghaben wollte, überzeugte ihn der Gleit- und Sturzflug entlang von Wänden, Schaufenstern und Hausein gängen. Dafür schlingerte Vicky nun gefährlich mit dem Bug gy. Tränen rollten über ein halbtotes Gesicht. Ich versuchte ein händig, den Buggy in der Spur zu halten. Alle Versuche, Vi cky zu einer Erklärung ihres Zustands zu bewegen, schlugen fehl. Als die Lichter des Schlachthofparkplatzes auftauchten und wir auf den heimelig erleuchteten Eingang zuhielten, gewan nen ihre Augen eine gierige Glut zurück.
Gertrud saß klein und blass hinter der Theke, auf vierzig Jahre Frust zusammengeschlurrt, die Augen glasig, das Lächeln pure Selbstüberwindung. »Aber wir schließen in einer halben Stunde«, sagte sie.
Den Kinderwagen durften wir im Gang zum Klo abstellen. Mütter mit Kindern entsprachen nicht dem Stil des Hauses, aber es gehörte sich auch nicht, Mütter auszuweisen. Über dem Anblick des Maschinenparks und der wenigen noch in den Geräten ächzenden Leiber vergaß Martin zunächst sein Raumschiff. Dann half ihm das Flugobjekt, sich in Loopings und Kurven den gigantischen Raumstationen zu nähern. Bellinda nahm ich vorsichtshalber auf den Arm. Sogleich sackte Vicky an meiner Seite zusammen. Ich konnte sie gerade noch halten. Der Schweißfilm auf ihrem madenbleichen Gesicht wirkte beängstigend. Gertrud
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