Gaisburger Schlachthof
eilte von der Rezeption herbei. Wir stützten Vicky in den Gang zum Klo, wo hinter einer Tür in einem kleinen Raum eine Liege stand. Gertrud eilte fort, um nach einem anwesenden Arzt zu schauen. Auch ich muss te Vicky verlassen, um nach Martin zu suchen. Mit Bellinda auf dem Arm hetzte ich die Treppe hinauf.
Das Raumschiff mäanderte über die Fausthanteln vor dem Spiegel.
Auf der Flachdrückbank, die jetzt in der vorderen Parzelle stand, die man vom Bistro aus einsehen konnte, lag ein schwitzender Typ auf dem Rücken, die Beine angewinkelt, um den Rücken zu entlasten, den Kopf zwischen den Gabeln, und hob eben die Langhantelstange aus der Halterung. Die Gewichtscheiben waren orange. Ich las 25 KG. Martins Raumschiff musste dem Stemmer vorkommen wie eine gigantische Hornisse im Sturzflug auf seine Achselhöhle. Das Gewicht geriet ins Schwanken. Ich riss Martin aus der Gefahrenzone. Der Mann brüllte aus voller Lunge, schaffte es aber, die Stange in die Halterung zurückzuwuchten. Dann sprang er auf, plusterte sich auf und schrie.
Und ich hatte die Kinder am Hals. Die Spiegel rundum warfen das Bild der Rabenmutter auf mich zurück. Bellindas Jäckchen war schief geknöpft, Martins Schuhbändel hing of fen. Dazu ich, gestylt in Markenjeans, 300-Mark-Gürtel, Lacoste-Polo, Bogner-Sakko und Haargel wie die personifizierte Rollenverweigerung.
»Wir sind doch keine Affen im Zirkus!«, tobte der Kraftsportler.
Plötzlich war Weber zur Stelle und pufferte. Ein paar beschwichtigende Worte unter Männern, glatte saubere Muskeln gegen den haarigen Schwitzer, der sich schließlich maulend zurückzog.
Weber wandte sich mir zu. Er war heiß und lächelte entspannt. Martin lutschte nachdenklich am Bug seines Raumschiffes. Weber fuhr ihm über den Haarschopf und Bellinda über die Backe. Sie drehte verschämt feixend das Gesicht gegen meine Schulter.
»Das sind doch nicht Ihre?« Er klang, als hätte er es sich gewünscht.
»Nein, Vickys. Sie ist aus den Latschen gekippt und liegt im Ruheraum.«
Manchmal fanden gestandene Männer ohne Familienanschluss überraschend schnell einen Draht zu den Rotznasen. Martins Augen hingen bewundernd an der aus seiner Zwer gensicht großen kräftigen Gestalt. Weber nahm mir unverzüglich Bellinda aus dem Arm.
Sie strahlte. »Du bist ja ganz nass.«
Er lachte und wandte sich Martin zu. »Na, dann zeig mir doch mal, wie stark du bist.«
Sie zogen zwischen die Geräte ab.
Auf dem Aerobicparkett stampften ein Dutzend Frauen im furiosen Finale kurz vor Schluss auf der Stelle, angeheizt vom Technotakt, alle mit dem Gesicht zum Spiegel, bemüht, die Arme und Beine gleichzeitig auszufahren, aber immer um eine Viertelsekunde Marianne hinterher, der Vorturnerin, die wieder mit allen Fasern ihrer ellenlangen Glieder bis in die überstreckten Finger hinein alles daransetzte, auf der Stelle fürs Fernsehaerobic entdeckt zu werden. Der Schopf wippte überm Stirnband, das Gesicht lächelte atemlos. »Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht …« Atmen und: »Eins, zwei, drei, vier …« Mir ging die Luft aus. »… sechs, sieben, acht und …«
Ich ertappte mich dabei, dass ich die Stufen abwärts zählte. Unten herrschte die Ruhe der Kraft. Die Geräte standen meistens still, die Athleten trockneten sich die Gesichter. Ein gutes Muskeltraining bestand vor allem aus Pausen. Raubtiere ruhten ja auch zwanzig Stunden am Tag. Dehnen, Schütteln, langsames Watscheln von Maschine zu Maschine, zeremoniell lässiges Zählen der Stahlplatten zu je fünf Kilo, zeitlupenhaftes Auflegen des Handtuchs auf die Sitzfläche, sorgfältiges Sich-Einrichten, Zurechtsetzen, Hinlegen, Haltung-Korrigieren in der Maschine, dann der Anriss, das Stöhnen der gequälten Kreatur.
Ich fand Vicky nicht mehr auf der Liege, sondern im Klo. Sie kühlte sich Handgelenke und Gesicht unterm Wasserhahn. »Hast du mir mal ’ne Kippe.«
Ich bezweifelte, dass man im Klo rauchen durfte. »Du solltest nicht so viel saufen.«
Vicky winkte ab und gierte zittrigen Fingers nach der Zigarette. »Es ist nicht der Alkohol. Gott, ist mir heiß. Ist dir auch so heiß?«
»Nein. Vicky, was hast du denn genommen?«
»Das, was alle hier nehmen. Schillers Kapseln. Aber ich habe sie noch nie vertragen.«
»Was für Kapseln?«
»Reg dich nicht gleich auf, Lisa. Nur ein Schlankheitsmittel. Aber inzwischen wirkt es nicht mehr. Ich hätte es längst lassen sollen, aber man gibt die Hoffnung ja nie auf.« Sie lachte verquält, fügte mit
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