Gaisburger Schlachthof
Sie lachte. »Aber wir Bodybuilder sind nicht auf Kraft trainiert wie die Gewichtheber, sondern auf Muskelzuwachs. Austrainierte Muskeln sind verletzungsanfällig.« Ein Bodybuilder konnte nicht mal eine Decke streichen, weil ihm die Muskeln die Blutzufuhr abdrückten. Schwierigkeiten gab es auch beim Blusenkauf. Die Ärmel waren immer zu eng. »Finden Sie das eigentlich noch schön? Gott, wie oft hab ich diese Frage schon gehört.« Ilona lachte. »Fehlt nur, dass Sie mich jetzt noch nach Doping fragen.« Natürlich war nicht alles gesund. Sport war nie gesund. Das Hungern vor dem Wettkampf ging an die Substanz, aber so wie auf der Bühne sahen die Bodybuilder höchstens ein oder zwei Mal im Jahr aus. »Kaum einer hat so richtig Spaß am Posen, aber man will halt auch mal die Früchte seines Trainings zeigen.«
»Würde es nicht reichen«, fragte ich, »wenn Sie ins Schwimmbad gehen?«
Ilona lachte. »Da wirst du nur dumm angeglotzt. Da lachen die Leute und zeigen mit den Fingern auf dich. Und die Män ner kommen und fragen, was dein Mann dazu sagt.«
»Ab wann«, fragte ich, »wird Bodybuilding zum Selbstläu fer?«
Die Stimme im Hörer stutzte. Dann zeigte sich, dass sie genau verstanden hatte, was ich meinte. »Wenn du merkst, dass es geht«, sagte sie. »Du verlierst Gewicht, du legst Muskeln zu, dein ganzer Körper verändert sich, du merkst, es passiert wirklich was, wenn du was tust. Du setzt dir Ziele, du gerätst richtig in einen Rausch, willst immer mehr.« Sie lach te. »Es ist schwer, wieder aufzuhören, das stimmt.«
Schwungvoll fabrizierte ich ein launiges Stückchen, ganz in dem Ton intellektuellen Kopfschütteins, den Pit wünschte. Für die dabei nötigen kritischen Fragen musste eine weitere, von mir erfundene Interviewpartnerin herhalten. »Sehr schön«, sagte Pit Hessler. »Und die Fotos?«
»Die soll der Fotograf machen. Ilona stellt sich auch zur Schau. Und die andere will inkognito bleiben. Was sie über Doping sagt, ist schließlich schädlich für die Branche.«
Pit schmunzelte. »Und wer macht den Bericht über den Wettkampf?«
»Ich dachte, der Sport.«
»Vielleicht solltest du dich doch geistig darauf vorbereiten, dass du ihn machst.«
Mit anderen Worten, ich sollte Samstagabend in die Liederhalle. Scheiße! Immerhin diente mir der Wochenendtermin als gute Ausrede, mich für heute aus der Redaktion zu verabschieden. Ich holte Senta und fuhr mit ihr auf den Frauenkopf. Im Silberwald grünten die Bäume. Ich versuch te, das Phantom Anette zu fassen. Krankhafte Schlankheitssucht, aber von ihren Wunderpillen fehlte im Moment noch jede Spur. Sally hatte keine, Vicky auch nicht, und Gertrud bestritt ihre Existenz. Reichte das, um die Polizei in den Laden zu scheuchen?
Aber hätte der dort turnende Polizist, Christoph Weininger, den schwunghaften Handel Schillers nicht ohnehin längst bemerkt haben müssen? Irgendeiner schwätzte in der Umklei de doch immer mal dumm raus. Am Ende hing er mit drin. Aber reichte Christophs Körperformat für die Statur des Monstrums am Funkhaus aus? Er war zwar breit, aber nicht groß und bau chig genug. Wenn es nach dem Format ging, hätte nur Fänge le der zweite Angreifer sein können. Aber nächtliche Straßen und Niederlagen vergrößerten jeden Angreifer. Vielleicht war ja auch Katrin in Turbowut auf mich zugeschossen. Die Technik des Ungeheuers war jedenfalls ziemlich judomäßig gewesen.
Nach zwei Stunden Geländemarsch war ich keinen Meter weiter, aber Senta dem Erschöpfungskollaps nahe. Ich musste sie pfotenweise ins Auto lupfen und dann die achtzig Stufen zu Sallys Dachstock hochtragen und wünschte, Sally würde wenigstens ihren Köter auf Diät halten.
Sallys Badezimmerschrank enthielt eine stattliche Sammlung von Medikamenten, Vitaminpräparaten und Appetitzüglern. Sally gehörte zu den Menschen, die sich einen Salat anrichteten und danach die Familienpackung Schokoladeneis verschlangen. Um das zu unterbinden, hatte sie unter anderem Tapetenkleister ausprobiert, auch Methylcellulose genannt, ein Brei, der, mit Vitaminen versetzt, den Magen füllte, oder Weizenkeimtabletten, die im Darm einen gefährlichen Pfropfen bilden konnten, wenn man nicht sehr viel Wasser nachfüllte. Fast alles blähte entweder oder jagte den Blutdruck hoch und raubte den Nachtschlaf.
Ganz hinten fand ich endlich das kleine grüne Schächtelchen mit der Aufschrift Adipoclear über orangefarbenen Streifen. Es enthielt ein weißes Döschen, das leer war.
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