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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Werbung für dasselbe Mittel und fragte in der Apotheke nach dem Preis.
    »38 Mark!« Drei Ausrufungszeichen dahinter.
    »Und da hast du Schiller mit der Presse gedroht?«
    »Hmmhmm.« Aber ganz sauber war Sallys Nicken nicht. Der Bleistift zögerte. »Er hat sich stur gestellt.«
    »Was heißt das?«
    Sally hatte ihr Geld zurückverlangt, er hatte nichts zurückgeben wollen, sie hielt ihm Betrug vor, er wurde ausfällig, sie drohte mit der Presse. Daraufhin sprach Schiller ein Hausverbot aus.
    »Aha«, stellte ich fest, »darum wolltest du nicht mehr in den Schlachthof gehen. Du durftest nicht. Hättest du mir das nicht gleich sagen können?«
    Sally druckste. Sie wusste, dass ich ihren Diätprojekten unduldsam gegenüberstand. Am Ende des Monats hätte ich wieder das Hundefutter bezahlt, weil die Hälfte des Geldes, über das sie monatlich verfügte, für Schlankheitspillen draufgegangen war. »Ganz ehrlich, Sally, du hast dich vor allem geschämt, dass Schiller dich so über den Tisch gezogen hat.«
    Der Bleistift malte Kringel und schwenkte dann aus: »Aber Anette!«
    »Willst du damit sagen, dass du so sterben wolltest wie Anette?«
    »Nein!«, sagte der Stift.
    Die Bettnachbarinnen verfolgten unsere hieroglyphische Konversation mit zunehmendem Interesse.
    »Aber es wirkt«, malte der Bleistift.
    »Ja, es macht abhängig.«
    Der Bleistift füllte die Kringel schwarz aus.
    »Hör mal, Sally. Was auch immer Schiller euch angedreht hat, das Mittel enthält einen Suchtmacher und erzeugt Entzugserscheinungen. Wahrscheinlich handelt es sich schlicht um Amphetamin. Und Ecstasy kannst du in jeder Disco kaufen. Auch daran kann man sterben. Kein Arzt kann den unaufhaltsamen Anstieg der Körpertemperatur bremsen.«
    In Sallys Augen tauchte wieder diese kleine Angst auf, die ich schon mal gesehen hatte, diese Mischung aus schlechtem Gewissen und Ignoranz einem Risiko gegenüber, das ihr so fern schien wie dem Raucher der Lungenkrebs.
    »Sally, du hast doch nicht gehofft, dass ich dir das Mittel besorge, nachdem du dich mit Schiller verstritten hattest. Du hast mich doch nicht in den Schlachthof geschickt, damit Schiller mir das Zeug andreht, was er unweigerlich getan hät te, hätte ihn nicht rechtzeitig einer ermordet.«
    Doch halt, nein! Mein erster hoffnungsvoller Kontakt mit Schiller fand am Freitag statt, bevor jemand im Schlachthof wusste, dass ich von der Presse war. Schon in der folgenden Woche hätte Schiller mir das Zeug nicht mehr angedreht, sondern mich vermutlich wie zuvor schon Sally an die Luft gesetzt, sobald ich die Sprache auf Schlankheitsmittel gebracht hätte.
    »Du glaubst doch nicht im Ernst«, sagte ich, »dass Fritz Schiller dir posthum seine Schläger auf den Hals gehetzt hat, um dir eine Warnung zukommen zu lassen. Dann doch wohl eher mir, nicht? Denn ich bin ja die von der Presse, mit der du gedroht hast. Allerdings hätte Fritz kaum Horst geschickt, denn die beiden waren sich gar nicht grün.«
    Sally versuchte, ein Lächeln unter den Verbänden hervorzuquetschen, und zog schiefen Kopfes die runden Schultern hoch ins fettige Gekringel der blonden Locken auf dem Kissen.
    »Hast du noch was von dem Zeug?«, fragte ich.
    Sally schüttelte den Kopf.
     
    Auf dem Weg zur Intensivstation zwang ich mich zur Ehrlichkeit mit mir selbst. Ich hatte Sally den Angriff auf sie ausgeredet, weil mir der Gedanke nicht gefiel, wegen Sallys Lügen jemanden zum Krüppel geworfen zu haben. Andererseits hätte ich die Schlägerei auch dann nicht vermeiden können, wenn ich gewusst hätte, dass es um eine brisante Schlankheitsdroge ging.
    Ich ließ die Bademantelspaziergänger in den unteren Sektionen zurück. In der Intensivmedizin herrschte dämmrige Todesruhe und ewiges Zwielicht, unterbrochen nur von eilenden Krankenschwesternsandalen und fernem Türenklappen. Eine genervte Pflegerin wollte überzeugt werden, dass ich persönliche Beziehungen zu Horst hatte. Ein Alarm rief sie schließlich weg, bevor die Frage geklärt war.
    Ich zog mir einen grünen Kittel über und betrat den sonnenlosen Raum mit den blinkenden und piepsenden Maschinen, welche die biologische Steuerung des Körpers übernommen hatten. Zwischen Vorhängen lagen Menschen hingestreckt unter Laken, angeschlossen an Schläuche und Fusiomaten. Es waren alte, graue, ausgemergelte Körper, alle bis auf einen. Nur an der Jugend des Körpers erkannte ich Horst, denn sein Gesicht war verschwunden unter Bandagen und dem Beatmungsschlauch. Die maschinelle

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