Gala der Herzen
Dabei verweilte sie besonders lange bei den orgiastischen Festen, die zu Ehren des Gottes Dionysos abgehalten wurden. Eins zu eins kann ich das unmöglich für die Eröffnungsparty übernehmen, überlegte sie kichernd. Aber als eine Art Hintergrunddekoration würde sich die eine oder andere, leicht retuschierte, Szene auf jeden Fall eignen.
Nur, wie sollte sie an die Gemälde kommen, die im Louvre oder der British National Gallery ausgestellt waren? Vielleicht als Diaprojektion auf die Wände des Ballsaales? Lissa krauste die Stirn. Das war natürlich eine Möglichkeit, aber irgendwie auch nur ein Abklatsch. Und sie wollte Perfektion.
Genau in diesem Moment erinnerte sie sich an Camille, einen Kommilitonen, mit dem sie in Paris Kunstgeschichte studiert hatte. Seine Eltern lebten in einem ausgesprochen ungewöhnlichen Landhaus, am Rande von Paris, das jeder normale Mensch als öffentliche Kunstgalerie klassifiziert hätte. Lissa erinnerte sich noch sehr gut an die Sammlung riesiger antiker Wandteppiche – eine Leidenschaft seiner Mutter – von Camilles Vater in einen der Nebenflügel verbannt, weil sie in seinen Augen mit Kunst nicht das Geringste zu tun hatten.
Vielleicht waren ja auch einige griechische Szenen darunter? Soweit Lissa wusste, umfasste die Sammlung mehr als hundert Exponate, zum Großteil in Schränke und Truhen eingeschlossen.
Lissa präzisierte ihre Internetrecherche, und nachdem sie alles gefunden hatte, was sie suchte, schaute sie nach James. Er war auf dem Sofa eingeschlafen, mit den Füßen auf dem niedrigen Couchtisch. Lissa hatte schnell festgestellt, dass James, wenn er schlief, richtig schlief! Tief und fest, mit der gleichen Entschlossenheit und Ausschließlichkeit, mit der er auch alles andere handhabte. Sie wusste, dass er sie jetzt nicht hörte, deshalb griff Lissa zum Telefon und tippte eine lange Nummer ein.
„Ich stehe ziemlich unter Druck und habe kaum Zeit“, erklärte sie Camille knapp und gab im Telegrammstil die wichtigsten Fakten bezüglich der geplanten Party und ihrer speziellen Wünsche durch. „Denkst du, ich könnte mir einige dieser Wandteppiche ausborgen?“
„Die alten Dinger?“, fragte Camille perplex. „Für eine Party ?“
Lissa grinste. Mit der richtigen Beleuchtung, Musik, passen den kulinarischen Genüssen und zusätzlichen Accessoires würden die alten Dinger genau die Atmosphäre schaffen, die ihr vorschwebte. Das dicht gewebte Material der antiken Meisterstücke einer fast ausgestorbenen Handwerkskunst, mit den satten Farben und teilweise goldenen Borten, würden die moderne Architektur und Ausstattung des neuen Hotels perfekt hervorheben und unterstreichen.
„Wenn du sie brauchst, kannst du sie haben.“
Wundervoll! Verflixt …!
Wie sollten die Teppiche von Paris nach Aristo gelangen? Darüber hatte sie sich in ihrem Übereifer noch gar keine Gedanken gemacht. „Hast du nicht auch Lust, zu der Party zu kommen, Camille?“, fragte sie ihren Studienfreund.
„Geht leider nicht, weil ich schon auf halbem Weg nach New York bin.“
„Schade“, bedauerte Lissa und meinte das völlig ernst. Es wäre so nett gewesen, an diesem Abend wenigstens einen Freund um sich zu haben. „Vielen Dank, Camille. Ich werde sofort den Transport der Teppiche organisieren und mich bei dir melden, sobald ich Näheres weiß.“
Transport! Nervös trommelte Lissa mit den Fingernägeln auf die Schreibtischplatte. Wenn sie nur an ihren Treuhandfonds heran könnte! Dann wäre das alles kein Problem. Aber so hatte sie nur das Geld zur Verfügung, das sie in den wenigen Wochen bei James verdient hatte … abzüglich ihrer Lebenshaltungskosten und ihrer Lieblingsschuhe.
Das brachte sie auf einen neuen Punkt. Was sollte sie anziehen? Wenn sie nicht das Kleid vom letzten Mal tragen wollte, was gegen jede gesellschaftliche Etikette war, blieb ihr nur übrig, auch in diesem Punkt zu improvisieren, da der Großteil ihrer Ersparnisse für den Teppichtransport draufgehen würde.
Lissa schaute zu James hinüber, der immer noch in der gleichen unbequemen Haltung auf dem Sofa lag und nach wie vor fest schlief. Unwillkürlich musste sie lächeln. Was für eine häusliche Idylle! Jetzt war sie bereits den zweiten Abend in Folge nicht ausgegangen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann das zuletzt der Fall gewesen war. Dabei war es ungeheuer gemütlich … nur sie beide, in ihrem Apartment, direkt unterm Himmel … wie in einem kleinen Nest.
Nicht eine Sekunde vermisste sie ihr
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