Galaxis Science Fiction Bd. 02
erfahren hatte.
Die durchschnittliche Spanne ihres Lebens hatte etwas über zwölftausend Jahre betragen. Umgerechnet war also die Zen vor mir nur ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt. Es war also doch nicht so erstaunlich, wenn sie sich mit fünfundzwanzig an Dinge erinnerte, die geschehen waren, als sie vielleicht sieben Jahre alt war.
Aber trotzdem ließ mich die Frage der Zen frösteln. Auch die Erklärung, die ich mir selbst gab, um mich zu beruhigen, half da nicht viel. Das hier war kein tolpatschiger Teddybär.
Dieses Wesen war älter als unsere abendländische Kultur.
Und dreitausend Jahre lang hatte die Zen ganz allein verbracht auf einem winzigen Splitter ihres toten Planeten. Die letzte und größte Zivilisation des Mars, die L’hrai, hatte während ihres Lebens ihren Aufstieg und ihren Niedergang erlebt. Und sie war fünfundzwanzig Jahre alt!
»Wie lebe ich hier?« fragte sie noch einmal.
Ich riß mich zusammen und versuchte einer Zen zu erklären, was ein Zen ist. Ich erzählte ihr, daß die Zen allem Anschein nach die zäheste und langlebigste Rasse gewesen waren, die je den Kosmos bevölkert hatten, praktisch unabhängig von ihrer Umgebung, eine nackte, unbeugsame Lebenskraft, die sich bis zu einem phantastischen Extrem entwickelt hatte, so daß sie fast überall, unter praktisch beliebigen Bedingungen existieren konnte – selbst im Vakuum des Weltraums.
Ihr unglaublicher Metabolismus konnte sich seine Nahrung aus dem nackten Felsen, der kosmischen Strahlung, dem interstellaren Gas holen, ja, er konnte ein paar tausend Jahre lang sogar ohne das alles existieren, wenn es darauf ankommen sollte. Wenn der menschliche Körper ein Ofen ist, dann ist der Körper eines Zen ein Atommeiler. Vielleicht, so dachte ich, ist das das letzte Ziel der Evolution.
»Bitte töte mich«, sagte die Zen.
ICH hatte diese Bitte erwartet. Vor zwei Jahren, auf dem öden Felsen des Eros, hatte Yurt dieselbe Bitte an Engstrom gerichtet. »Warum?«, fragte ich sie: »Warum?«, obwohl ich wußte, was für eine Antwort sie mir geben würde.
Die Zen schaute mich an. Ich bemerkte an ihr die Anzeichen einer ungeheuren Gefühlserregung, allerdings mit vertauschten Vorzeichen. Eine winzige Bewegung hier, ein Zittern da, je erregter ein Zen wurde, desto mehr unterwarf er sich einer strengen Selbstkontrolle, desto stiller und zurückgezogener wurde er. Yurt, der schon zwei Jahre mit uns lebte, konnte immer noch nicht begreifen, wie verwirrend wir dies fanden.
Es ist oft schwierig, eine fremde Intelligenz zu verstehen – oder selbst ein Fremder zu sein.
»Ich habe oft versucht, es selbst zu tun«, sagte die Zen mit sanfter Stimme. »Aber ich kann nicht. Ich kann mich nicht einmal verletzen. Warum du mich töten sollst?« Sie wurde noch stiller, in sich gekehrter. Vielleicht weinte sie jetzt? »Ich bin allein. Fünfhundert Jahre, Erd – mens. Zu lange. Ich bin trotzdem noch jung. Aber warum soll ich leben, wenn keine anderen Zen mehr da sind?«
»Woher weißt du, daß es keine anderen Zen mehr gibt?«
»Es gibt keine mehr«, sagte sie mit fast unhörbarer Stimme. Ich nehme an, ein Mädchen von der Erde würde es herausgeschrieen haben.
Du warst ein Kind, dachte ich, als deine Welt starb. Und du hast es überlebt. Jetzt bist du eine dreitausend Jahre alte junge Frau – ungebildet, furchtsam, vermutlich voller Neurosen. Trotzdem, meine junge Dame, du bist nicht alt genug, um dich nicht doch noch ändern zu können.
»Willst du mich töten?« fragte sie mich noch einmal.
Plötzlich erlebte ich einen dieser seltenen Augenblicke, wo der Blick bis ins Unwirkliche geschärft ist. Ich sah die ganze Szene überdeutlich vor mir: diesen atemberaubenden Himmel, den toten Felsbrocken Vesta, die kleine verlorene Kreatur, die mich bittend anstarrte – diese brillantunwissende menschenähnliche Fremde, diese alt-junge Kreatur, die mich jetzt bat, sie zu töten.
Einen Augenblick lähmte mich die allzumenschliche Qualität ihres Denkens. Ein solches Gefühl muß man wohl haben, wenn man eines Nachts plötzlich aufwacht und entdeckt, wie der Lieblingshund einem auf der Brust hockt, der einen mit uralten weisen Augen anstarrt und dessen weiße Fänge im Mondlicht schimmern.
Doch dann dachte ich an Yurt – den klugen freundlichen Yurt, der gelernt hatte, wie man lacht – und das unwirkliche Gefühl verließ mich. Ich machte mir klar, daß vor mir ein krankes Kind stand, kein kleines Ungeheuer. Und wenn sie so formbar war, wie Yurt es
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