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Galaxis Science Fiction Bd. 06

Galaxis Science Fiction Bd. 06

Titel: Galaxis Science Fiction Bd. 06 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lothar (Hrsg.) Heinecke
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eine tiefe Liebe zum Meer. Ich glaube, für ihn bedeutete das Meer das, was anderen der Weltraum bedeutete. Vielleicht nahm er es auch als eine Art Ersatz. Das nächste, was er schrieb, war ein wildbewegtes unsterbliches Stück, das er Wassermusik nannte, und ich weiß, daß er es unter all seinen anderen Werken am heißesten liebte – außer natürlich der Zehnten Symphonie. Aber auch hiermit erlebte er wieder einen Reinfall. Nur die Rejekts waren von der Wassermusik begeistert, aber die zählen nicht.
    Wäre Wainer ein wirklicher Komponist aus innerer Berufung gewesen, dann hätte er weiter gearbeitet, gleichgültig, ob sich jemand um. seine Arbeiten gekümmert hätte oder nicht. Aber wie ich schon vorhin sagte, er war kein wahrer Künstler. Trotzdem er vielleicht der größte Komponist gewesen ist, den die Welt jemals kannte, war die Musik für ihn nur ein kleiner Teil seines Lebens. Er wurde von dem Gefühl beherrscht, daß er – obwohl er auf der Erde geboren war – etwas in sich hatte, das fremd, das unirdisch, nichtmenschlich war. Und weil er nicht verstehen konnte, was es war, das ihn ruhelos umhertrieb, zerquälte er sich langsam von innen heraus, während er über die Klippen der Küste wanderte.
    Ich war inzwischen Arzt auf einem Schiff der Altairroute geworden. Als ich ihn wiedersah, war er vierzig Jahre alt und sah aus wie ein Mann aus dem Lande Nirgendwo. Da er nichts mehr geschrieben hatte, lebte er von staatlicher Fürsorge. Er hatte ein Zimmer, und er hatte genug zu essen, aber was er sonst an Geld in die Hände bekam, vertrank er ohne jede Überlegung. Er war ein solch riesiger, hagerer, zerfurchter Mann, daß selbst seine alten Freunde einen Bogen um ihn machten. Ich tat für ihn, was ich konnte. Das war nicht viel außer ihm hin und wieder etwas Geld zuzustecken. Damals erzählte er mir von seiner Sehnsucht nach dem Weltraum und noch vieles andere, und ich entsinne mich der Worte, die er dabei benutzte, noch sehr genau:
    »Eines Tages muß und werde ich hinausgehen. Mir ist es so, als wäre der Raum meine wirkliche Heimat, als hätte ich dort schon einmal gelebt.«
    Kurz danach fing der Husten an. Anfangs kam er nur sehr selten und belästigte ihn nicht weiter. Weil es länger nicht mehr so etwas wie Krankheiten gab, dachten weder Wainer noch ich viel darüber nach, außer daß Wainer sich ein paar Tabletten besorgte. Lange Zeit verspürte er dann auch nichts mehr.
    ALS Wainer zweiundvierzig war, begegnete er der Frau seines Lebens. Sie hieß Sila. Sie war eine Ratio, eine Lehrerin der Mnemotechnik. Sie war die einzige Frau, die Wainer wirklich geliebt hat – außer vielleicht seiner Mutter –, und er erwählte sie, sein Kind zu tragen.
    Wegen der Gefahr der Überbevölkerung durfte damals ein Mann nur alle hundert Jahre ein Kind zeugen. Wainer bekam sein Kind von Sila geschenkt, doch obwohl er sich sehr freute, daß sein Sohn ein Ratio war, kümmerte er sich nicht sehr um das Kind.
    Er näherte sich allmählich den fünfzig und damit dem endgültigen Zusammenbruch. Damit er Sila oft und mit Stolz sehen konnte, arbeitete er während dieser Jahre angestrengt. Es war die Zeit, wo er alle Symphonien von der Zweiten bis zur Neunten schrieb Und es war die Zeit, wo seine Lungen unbemerkt immer weiter zerfielen.
    Es ist unglaublich, aber diese acht Symphonien waren alles kommerzielle Erfolge. Er produzierte sie mit der Schnelligkeit und Präzision einer unbeteiligten Maschine und war immer nur halben Herzens dabei, trotzdem waren es Erfolge. Ich frage mich noch heute, was wohl der Rest seines Verstandes dabei für Gedanken dachte.
    Ich kann ihn jetzt noch vor mir sehen – diesen hageren verbrauchten Mann, seine mächtigen muskelbepackten Arme an einen Federhalter gekettet, seine harten weitausgreifenden Beine unter einen engen Tisch gezwängt….
    Ich sah ihn dann fast zehn Jahre nicht mehr, denn er verließ New York – wohl das einzige Mal in seinem Leben – und begann durch den ganzen amerikanischen Kontinent zu wandern. Ich hörte nur selten von ihm. Ich glaube, es war in einem seiner Briefe, daß er zum ersten Male die Schmerzen in seiner Lunge erwähnte.
    Ich habe nie erfahren, was er in diesen zehn Jahren trieb, oder wovon er lebte. Vielleicht ging er in die Wälder und lebte dort das Leben der Primitiven? Ich weiß, daß er nicht mehr ganz bei Sinnen war. Er war wie eine einstmals großartige Maschine, die man überfordert hatte – das empfindliche Getriebe war angefressen und

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