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Galaxis Science Fiction Bd. 06

Galaxis Science Fiction Bd. 06

Titel: Galaxis Science Fiction Bd. 06 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lothar (Hrsg.) Heinecke
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Speicherzentren ihres Gehirns entfernt hatte. Endlich wurde ein Test entwickelt, mit dessen Hilfe man ohne vorherige Operation feststellen konnte, ob das Kunsthirn arbeiten würde oder nicht. Die Zahl der Rejekts – derjenigen also, die kein Kunsthirn vertragen konnten – war nur gering im Vergleich zu der ihrer glücklicheren Mitmenschen, aber jedes Jahr kamen doch weitere hinzu. Die anderen wurden Ratios genannt – von ratio, Vernunft, Verstand.
    Das also war das Zeitalter der Ratios und Rejekts.
    Natürlich konnten die Rejekts in jenen Tagen einer technisierten Welt nicht hoffen, jemals mit den Ratios in Wettstreit treten zu können. Ihr Gedächtnis war nicht gut genug, ihr Wissen war nicht groß genug. Der geringste Ratio-Arzt wußte mehr, als je ein Rejekt zu wissen hoffen konnte, der schlechteste Chemiker verstand mehr von Chemie als der beste Rejekt-Chemiker, und daß ein Rejekt ein Raumpilot werden konnte, das war völlig ausgeschlossen.
    Eine der Folgen war, daß die Mnemotechnik, die Gedächtniskunst, zu höchster Blüte gelangte und den Rejekts die Technik des Sich-Erinnerns gelehrt wurde. Als Wainer erwachsen war, war sein Geist geordneter und disziplinierter und sein Gedächtnis zuverlässiger als das irgendeines anderen Menschen, der vor der Erfindung der Kunsthirne gelebt hatte. Aber er war und blieb doch nur ein Rejekt.
    Er wurde sich dessen endgültig und schmerzlich bewußt, als er ungefähr fünfzehn war – so denke ich. Er hatte sich immer gewünscht, hinaus in den Raum gehen zu können, und als er sich klar machen mußte, daß selbst die armseligste Arbeit an Bord eines Schiffes noch über seinen Möglichkeiten lag, war er zutiefst niedergeschlagen. Er hat mir später von jenen Tagen erzählt, als es nur noch die verwaschenen Erinnerungen eines Rejekts an seine Jugendzeit waren. Trotzdem werde ich die Bitterkeit, die aus seinen Worten klang, nie vergessen können.
    ICH lernte Wainer kennen, als er achtzehn Jahre war und mit seiner Arbeit noch nicht begonnen hatte. Wir begegneten uns in einem jener Musikklubs, die es damals in New York noch gab – einem jener verrauchten und überfüllten kleinen Lokale, wo die Rejekts sich trafen, um unter sich zu sein, fern von den – wie wir sie nannten – Klumpköpfen. Ich entsinne mich noch sehr genau an den jungen Wainer. Er war ein großer breitschultriger Bursche – größer selbst als ihr – mit mächtigen Armen, großen unschuldigen Augen und einem ungebärdigen braunen Haarschopf. Seine Größe hob ihn aus uns anderen heraus, aber das kümmerte ihn wenig. Und obwohl er damals ein oft fast schmerzhaft linkischer junger Mann war, wurde doch nie über ihn gespöttelt.
    Ich weiß nicht genau, wie ich den Eindruck, den er hinterließ, richtig beschreiben soll – aber er war groß, fast bedrohlich groß, und er besaß eine Aura kolossaler Stärke. Er sprach nur sehr wenig. Meistens saß er nur schweigsam unter uns, trank sein Glas und hörte der Musik und unseren Gesprächen zu. Und ab und zu lächelte er sein wunderbares Lächeln. Wir hatten ihn alle gern.
    Er fühlte sich zu mir hingezogen – so denke ich jedenfalls –, weil ich einer der seltenen erfolgreichen Rejekts war. Ich hatte mir einen Namen als Chirurg gemacht. Ich bin überzeugt, daß er mich heimlich beneidete.
    Was aber auch immer der Grund gewesen sein mag, jedenfalls war er immer bereit, sich mit mir zu unterhalten. In der ersten Zeit tat ich mein Bestes, um ihn zum Arbeiten zu bringen, aber er machte nie einen ernsthaften Versuch. Für einen Rejekt gab es eigentlich nur die Künste, und er fühlte sich nie richtig zu ihnen hingezogen.
    SIE machten eine Bewegung des Erstaunens. Der alte Mann nickte bekräftigend.
    Ja, es ist wahr. Er wollte nie ein Künstler werden. Der Drang zu aktiver Tat war viel zu groß in ihm, und er haßte die selbstgewählte Einsamkeit des Künstlers. Aber die Ratios ließen ihm keine andere Wahl.
    Die Ratios, wie ihr wissen werdet, besaßen nur eine geringe Begabung für das Künstlerische. Ich kann nicht sagen, warum. Vielleicht war es die Präzision, die Methodik ihres Denkens und Lebens, die ihnen den Zugang zur Kunst verwehrte, oder vielleicht – wie wir stolz behaupteten – waren die Rejekts nur Rejekts, eben weil sie künstlerisch begabt waren. Das Endergebnis jedenfalls ein wunderbares Beispiel ausgleichender Gerechtigkeit: Die Rejekts übernahmen die Künste und alle jene Gebiete, die nach Talent und Intuition verlangten, die Ratios die

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