Galeeren in der Ostsee
sollen, ohne Sie um Erlaubnis zu fragen.«
Herrick übergab ihm die Flasche. »Nehmen Sie die mit in Ihr Quartier, und trinken Sie den Rest aus. Sie haben es verdient.«
Allday nickte und ging langsam zur Tür. Doch er drehte sich noch einmal um und murmelte: »Er hat plötzlich die Augen aufgemacht, Sir.« Wie zur Bekräftigung rieb er sich das Kinn. »Und wissen Sie, was er als erstes zu mir sagte?«
Herrick antwortete nicht, als er die Tränen sah, die über Alldays stoppelige Backen liefen.
›»Du hast dich heute nicht rasiert, du Lümmel!‹ Das hat er gesagt, Sir.«
Browne schloß vorsichtig die Tür, die Allday in Gedanken offengelassen hatte, setzte sich wieder und schaute zu Boden. »Jetzt verstehe ich Sie, Sir.«
Als Herrick nicht antwortete, bemerkte er, daß der Kapitän in seinem Stuhl eingeschlafen war.
Sehr vorsichtig verließ Browne die Kajüte und ging zum Niedergang. Dort stieß er fast mit dem Schiffsarzt zusammen, der einen Augenblick abwartete, in dem das Schiff wieder auf ebenem Kiel lag. Browne bemerkte Loveys Hände, die aussahen, als trüge er rote Handschuhe.
Er sagte: »Kommen Sie mit in die Messe. Ich mache eine Flasche auf. Die haben Sie mehr als verdient!«
Loveys betrachtete ihn mißtrauisch. »Ich bin kein Zauberer, wie Sie wissen. Konteradmiral Bolitho kann noch einen Rückfall bekommen, und selbst wenn alles gutgeht, wird er bis an sein Lebensende leicht humpeln und Schmerzen haben.« Völlig unerwartet lächelte er, und dabei war besonders deutlich zu erkennen, wie erschöpft er war.
»Glauben Sie mir, Mr. Browne, ich bin selber überrascht.«
Herrick kam aus seinem Stuhl hoch und ertastete sich den Weg aus der Kajüte. Seine Erschöpfung war ein guter Grund dafür gewesen, daß er eingeschlafen war. Wenn er sich noch länger mit Browne unterhalten hätte, wäre es ihm – genau wie Allday – unmöglich gewesen, seine Gefühle zu verbergen.
Er tapste hinauf aufs Achterdeck, wobei seine Augen in der Dunkelheit doch noch die schemenhaften Kanonen erkennen konnten, während die Finknetze sich klar wie Schattenrisse gegen den Abendhimmel abzeichneten.
Der Steuermannsmaat der Wache stand beim Aufgang zur Hütte, einer der Midshipmen schrieb etwas auf seine Tafel, die er dazu ans Kompaßlicht hielt. Das Schiff ächzte und quietschte bei seiner heftigen Dümpelei vor der Ankertrosse. Die Decks glänzten naß vom Regen, und die Luft war eiskalt. An der entgegengesetzten Ecke des Achterdecks entdeckte Herrick den wachhabenden Offizier. Er rief: »Mr. Pascoe!«
Pascoe eilte herbei, seine Schritte waren auf dem nassen Deck kaum zu hören. Er blieb vor seinem Kommandanten stehen und versuchte die Dunkelheit zu durchdringen. »Sie haben mich gerufen, Sir?«
»Es ist vorüber, Adam. Er wird überleben, und zwar mit beiden Beinen!« Herrick wandte sich ab und sagte nur noch im Gehen: »Ich bin in meiner Kajüte, wenn etwas sein sollte.«
»Aye, aye, Sir!« Pascoe wartete, bis er verschwunden war, und schlug dann glücklich die Hände zusammen.
Der Midshipman fragte ängstlich: »Ist etwas nicht in Ordnung, Sir?« Pascoe mußte seine Freude teilen, jemandem berichten. »Nicht mehr. Ich habe mich nie besser gefühlt.«
Er stakste davon und ließ den Midshipman so ratlos stehen wie zuvor. Auch dieser machte sich selbstverständlich Sorgen um den Admiral. Aber im Leben eines Midshipman gab es viele Dinge, über die er sich Sorgen machen konnte. Diese Rechenaufgabe zum Beispiel. Der alte Grubb wollte sie noch vor Tagesanbruch haben. Da gab es keinerlei Entschuldigung.
Die Tafel zitterte, als der Junge sich an den schrecklichen, aber großartigen Augenblick erinnerte. An den Konteradmiral, der seinen Hut schwenkte und die Kanonen des Feindes mißachtete. An die jubelnden oder sterbenden Männer. Und er, Midshipman Edward Graham aus der Grafschaft Hampshire, hatte überlebt.
Der dreizehn Jahre alte Midshipman konnte nicht wissen, daß Richard Bolitho fast genau dasselbe dachte.
Traumgebilde
Nach einer der stürmischsten Überfahrten, an die Bolitho sich erinnern konnte, hatte die
Benbow
schließlich in Spithead geankert. Fast drei Monate waren sie fort gewesen, eine kurze Zeit nur für einen erfahrenen Seeoffizier, doch Bolitho hatte nicht erwartet, daß sie Spithead oder einen anderen heimatlichen Hafen jemals wiedersehen würden.
Die schmutzig gelben Wellenkämme schienen ihm beinahe schön, und die klamme Luft in der Kajüte war ihm nicht länger lästig. Bolitho trat
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