Galeeren in der Ostsee
wolle er sich jede Einzelheit genau einprägen. »Vom Hafenadmiral und aus Whitehall, Sir.«
Browne nahm die Papiere an und übergab sie Allday. »Legen Sie sie in den Wagen, und dann sagen Sie dem zweiten Bootssteurer, daß er mit dem Kutter zur
Benbow
zurückfahren kann.« Trocken setzte er hinzu: »Ich nehme an, Sie beabsichtigen, mit uns zu kommen?«
Allday grinste. »Ich habe eine kleine Tasche gepackt, Sir.« Browne seufzte. Allday strahlte seit Bolithos Genesung wie die Tropensonne.
»Meine Empfehlung an den Hafenadmiral.« Bolitho stellte sich vor, wie Herrick jetzt seinen Bericht für die Werft diktierte, eine Arbeit, die er haßte, wie die meisten Kommandanten. »Richten Sie ihm bitte Grüße von mir aus.«
Browne warf dem Leutnant, dem Boten des Hafenadmirals, einen vernichtenden Blick nach, als er in der Menge untertauchte. Allday kam zurück und kletterte zu dem dicht vermummten Kutscher auf den Bock.
Bolitho zögerte noch. Er drehte sich um und warf einen Blick durch das Hafentor auf die Reede hinaus. Viele Schiffe lagen draußen vor Anker, aber er suchte die
Benbow.
In zwei Wochen begann ein neues Jahr: 1802. Was mochte es der
Benbow
und allen, die sie auf ihren mächtigen Planken trug, bringen?
Endlich kletterte er in die Kutsche und ließ sich erleichtert in die weichen Kissen sinken.
»Haben Sie Schmerzen, Sir? Wir können hier eine Zeitlang stehe nbleiben, wenn Sie es wünschen. Wagen und Pferde stehen zu Ihrer Verfügung, so lange Sie es wünschen.«
Bolitho bewegte sein Bein probeweise. »Das muß aber ein sehr guter Freund sein.«
»Ihm gehört die halbe Grafschaft, Sir.«
Bolitho zwang seine Glieder, sich Zentimeter um Zentimeter zu entspannen. »Fahren Sie los. Die Arbeit des Doktors scheint zu halten.« Er lehnte sich zurück und schloß die Augen. Dabei kehrten noch einmal all die flüchtigen Erinnerungen zurück: Alldays Gesicht, die Gehilfen des Schiffarztes rundum, die Schmerzen, seine eigene Stimme, ächzend und flehend wie die eines Fremden. Und dann dieser Morgen. Die Seeleute, die ihm zujubelten. Er hatte sie an die Schwelle des Todes geführt, und sie wünschten ihm trotzdem noch Gutes.
Die Bewegungen der Kutsche glichen denen eines Bootes in kabbeligem Wasser, und als das Geklapper der Hufe und Knarren der Räder auf Kopfsteinpflaster in das dumpfe Geräusch einer schlammigen Landstraße überging, übermannte Bolitho der Schlaf.
»Brrr, Ned! Halt, Blazer!«
Bolitho schreckte aus seinem Schlaf hoch und bemerkte gleich mehrere Dinge auf einmal: daß es viel kälter geworden war und daß sich Graupelkörner in den Ecken der Wagenfenster gesammelt hatten. Außerdem schaukelte sein Sitz heftig. Das lag daran, daß Browne mit aller Gewalt versuchte, das Fenster zu öffnen. Er hielt dabei eine gespannte Pistole in der anderen Hand.
Browne fluchte: »Gottverdammich, es ist festgeklemmt!« Er bemerkte, daß Bolitho aufgewacht war, und setzte unnötigerweise hinzu: »Draußen gibt’s Schwierigkeiten, Sir. Straßenräuber, oder so ähnlich.«
Das Fenster fiel so plötzlich herunter wie das Messer einer Guillotine, die kalte Luft strömte herein und füllte in Sekunden das Wageninnere.
Bolitho hörte, daß die Pferde unter Kontrolle waren und ihre Hufe nur auf sumpfigem Untergrund schlitterten. Es war der recht Ort für einen Raubüberfall, weit und breit kein Haus zu sehen.
Der Wagen hielt, und ein Mann mit weißen Augenbrauen schaute zu ihnen herein.
Bolitho schob Brownes Pistole zur Seite. Es war Allday, Gesicht und Brust mit Schnee und Graupelkörnern bedeckt.
Allday sagte: »Ein Unfall, Sir. Der andere Wagen ist von der Straße abgekommen. Jemand scheint verletzt zu sein.«
Browne kletterte aus dem Wagen und protestierte, als Bolitho ihm folgte.
Draußen blies ein starker, stetiger Wind, und als die beiden Offiziere sich hinter Allday vorwärtskämpften, wehten ihre schweren Bootsumhänge wie Banner aus. Der Kutscher war auf seinem Bock geblieben und beruhigte die Pferde, die mit dampfenden Leibern nervös stampften.
Die andere Kutsche, kleiner als ihre, lag im Graben neben der Straße. Ein Pferd stand in der Nähe und schien völlig unbeteiligt am Geschehen. Neben dem Hinterrad hob sich ein Blutflecken deutlich vom Schneematsch ab.
Allday sagte: »Hier unten, Sir!« Er arbeitete sich mühsam den Abhang hoch und schleppte dabei einen Mann hinter sich her. Dessen eines Bein stand in einem unnatürlichen Winkel ab, offensichtlich war es gebrochen.
»Vorsichtig!«
Weitere Kostenlose Bücher