Galeeren in der Ostsee
dem Arbeitsbuch, der Personalliste, der Vorratsliste mit Angaben über Munition, Ersatzsegel und all die anderen Dinge, die auf einem vollgetakelten Linienschiff vorhanden sein mußten.
Herrick hatte viel an Bolitho gedacht und sich gefragt, wie dieser wohl in London zurechtkam. Er wußte, daß Bolitho sich in der Hauptstadt noch nie wohl gefühlt hatte. Straßen voller Pferdemist, ein Ort, der sich mit seinem eigenen Gestank vergiftet, hatte er einmal gesagt. London war inzwischen derart mit Fahrzeugen aller Art überfüllt, daß die vermögenden Leute Stroh auf das Kopfsteinpflaster vor ihren Türen streuen ließen, um den Lärm der eisenbeschlagenen Räder zu dämpfen.
Mehr als einmal versuchte Herrick, sich seiner Gefühle während des Kampfes mit dem französischen Admiral Ropars zu erinnern. An der Seite Bolithos hatte er dem Tod mehr als einmal ins Auge geschaut, aber jedesmal schienen sie näher daran zu sein als zuvor. Er sah Bolitho wieder auf der Laufbrücke der
Benbow
stehen und – die feindlichen Scharfschützen mißachtend – seinen Hut schwenken, um seinen Leuten für den aussichtslos scheinenden Kampf Mut zu machen.
Viele Männer waren an jenem Tag gefallen oder verwundet worden. Herricks Offiziere hatten schon die Gassen von Portsmouth und die umliegenden Dörfer der Grafschaft Hampshire nach Ersatzleuten abgegrast. Herrick hatte sogar Flugblätter drucken und auf die Gasthöfe und Rathäuser verteilen lassen, wo sie des Lesens unkundigen Leuten vorgelesen werden sollten, in der Hoffnung, daß der eine oder andere daraufhin zu den Fahnen eilte.
An diesem Vormittag hatte auch die
Relentless
im Hafen geankert. Sie war auf ihrem Posten von der schnell reparierten
Styx
abgelöst worden. Nachrichten waren ausgetauscht worden, neue Leute verpflichtet. Die Marine erlaubte nur wenig Zeit für eine Erholung. Herrick betrachtete die große neue Landesflagge, die der Bootsmann nach achtern gebracht hatte, die Flagge mit dem zusätzlichen St.-PatricksKreuz. Für Herricks praktischen Sinn schien es verschwendete Mühe, eine Flagge zu ändern, wenn die ganze Welt darauf aus war, sich selber zu vernichten.
Yovell, Bolithos Schreiber, kam mit weiteren Papieren, die unterschrieben werden mußten, in die Kajüte. Unterstützt von Herricks eigenem Schreiber, war Yovell ein Turm im Papierkrieg der letzten Tage gewesen. Er hatte geholfen, Formulierungen zu finden, an denen kein Verpflegungsamt und kein Schiffslieferant herumdeuteln konnten. Herrick war diese Arbeit wie nichts sonst verhaßt, darum fragte er verzweifelt: »Noch mehr?«
Yovell lächelte. »Ein paar, Sir. Und ein Brief ist dabei für den Kurier nach London.«
Herrick warf einen gequälten Blick darauf. Er konnte sich nur schwer daran gewöhnen, auch für die anderen Schiffe mitdenken zu müssen. Sein eigenes Schiff in Gang zu halten, war schon schwer genug. Aber als Flaggkapitän mußte er sich um das gesamte Geschwader kümmern, die
Relentless
eingeschlossen.
Kapitän Peel hatte gemeldet, daß seinem Dritten Offizier, der im Gefecht mit dem feindlichen Geschwader verwundet worden war, das Bein amputiert werden mußte, und daß er nun im Marinehospital von Haslar lag. Peel forderte unverzüglichen Ersatz an, da noch keiner seiner eigenen Fähnriche das Alter und die Eignung zur Beförderung besaß. Er hoffte, ohne unnötige Verzögerung wieder Anker lichten und zum Geschwader zurückkehren zu können. Herrick dachte sofort an Pascoe, ließ den Gedanken aber gleich wieder fallen. Es konnte Tage, ja Wochen dauern, bis Bolitho zurückkam. Da wäre es unfair gewesen, den Jungen inzwischen wegzuschicken.
Yovell beobachtete ihn ungeduldig. »Soll ich einen Brief an den Hafenadmiral vorbereiten, Sir?«
Herrick rieb sich das Kinn. Es lagen mehrere Kriegsschiffe zur Reparatur im Hafen. Sicher hatte eines von ihnen einen Ersatzmann, einen jungen Offizier, der mit Begeisterung zu Kapitän Peel gehen würde.
»Ich denke darüber nach.«
Er wußte, daß Yovell mißbilligend den Kopf schüttelte, aber er wollte erst einmal mit Peel sprechen. Am besten lud er ihn zum Essen mit Dulcie ein. Herrick strahlte plötzlich über diese blendende Idee. Dulcie wußte sicher, was er tun sollte. Sie hatte ihm schon so viel Selbstvertrauen gegeben, daß er es kaum glauben konnte.
Herrick stand auf und ging ans seitliche Kajütfenster. Er wischte den feuchten Niederschlag von der Scheibe und blickte auf den Hafen hinaus. Es war Nachmittag, aber schon fast dunkel. Er
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