Galgenberg: Thriller (German Edition)
die Fingerspitzen auf Clares Wange.
»Ja, es war ziemlich hektisch.«
» Ag, nee, skat. Das musst du mir unbedingt erzählen.« Magda senkte die Stimme: »Da ist Merle Osman. Gegen die wirkt Wallis Simpson wie eine Amateurin in Sachen zu reich und zu dünn.«
Clare sah aus dem Augenwinkel, wie die Frau in einen Gang verschwand, der mit einem »Privat«-Schild versehen war.
»Hast du ihren Bruder gesehen?«
»Gilles müsste sich hier irgendwo rumtreiben«, sagte Magda. »Normalerweise steht er in einer Ecke. Wo er mit ein paar Auserwählten und ein paar ausgewählten Single Malts Hof hält. Ach, Pedro da Silva ist übrigens auch da. Er meint, ihr hättet ziemlich gutes Material für euren Film zusammenbekommen.«
Clare warf ihrem Freund einen Blick zu. »Das haben wir, aber noch nicht genug. Ich wurde abgelenkt. Sag ihm, dass es mir leidtut. Ich komme später zu euch. Und gib ihm den hier. Mir ist im Moment nicht nach Trinken zumute.« Sie reichte Magda das noch frische Glas.
»Lilith hat noch ein letztes Stück fertiggestellt«, erzählte Magda. »Sehr bewegend. Sie konnte kaum darüber sprechen, als ich mit ihr vorhin den Rundgang machte. Es ist da drüben.«
Clare pflügte durch die Menschen. Sie blieb in einer Tür stehen und ließ den Blick über die drängelnde, Luftküsschen verteilende Menge wandern. An der Tür links hing ein Schild mit der Aufschrift THE END – Liliths geheimes Werk. Sie selbst stand am anderen Ende des Raumes, umringt von wohlhabenden, selbstgefälligen Männern.
Lilith drehte sich um und sah Clare an. Es war wie ein Déjà-vu. Sie trug eine Replik des grünen Kleides, das ihre Mutter damals getragen hatte, mit schmaler Taille und dünnen Trägern. Um ihren Hals lag eine Kette aus grobem Silber. Ihr Haar war zu einem Knoten hochgesteckt, so wie auf den Fotos ihrer Mutter. Die Kopfdrehung, der abgewinkelte Arm, alles wirkte wie ein Echo der Schnappschüsse, die Clare von Suzanne gesehen hatte. Die Neuerschaffung einer vor so vielen Jahren gestorbenen Frau hatte etwas Gespenstisches.
Zwei beschwipste Mädchen prallten mit Clare zusammen. Als Clare wieder aufsah, unterhielt sich Lilith, eine Hand gegen den Brustkorb gepresst, gerade mit Sykes. Clare floh aus dem Gedränge in einen Korridor.
Eine Feuertreppe führte nach oben, und dort, auf dem Absatz, stand eine Tür einen Spalt offen. Gegenüber war ein provisorischer Ausstellungsraum eingerichtet worden. Clare schob den Vorhang beiseite. Die Stille und die Einsamkeit taten gut. Sie wartete, bis sich ihre Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten.
An der Wand gegenüber hingen Bilder. Fotos, Aufnahmen aus einem Video. Ein Kind, das auf einen weißen Teller auf einem blauen Tisch starrt. Ein Bär, ein Buch, ein schwarzer Stein. Ein Landschaftsgemälde. Eine zwergenhafte Gestalt im Nachthemd, die nackten Füße blut- oder schlammverschmiert. Ein Tümpel mit schwarzem Wasser.
Daneben ein Video. Weiße, blasse Haut, zerstückelt, in sich langsam bewegende Bilder. Clare wich erschrocken zurück, als sie die Muster erkannte – auf die Haut waren Obduktionsfotos von Suzannes Skelett projiziert worden.
»Ja, Dr. Hart. Sie ist wirklich gestorben.«
Erschrocken fuhr Clare herum.
Merle Osman stand in der Tür, die beiden auf Hochglanz gestriegelten Afghanen zu ihren Füßen.
»Liliths letztes Ausstellungsstück«, erläuterte Merle. »Auf dem sie sich in ihre tote Mutter verwandelt. Ebenso makaber wie faszinierend. Sie besitzt eindeutig die Gabe, uns zu verstören. Genau wie ihre Mutter.«
Clare zeigte ein Lächeln zur Begrüßung, um ihr Unbehagen zu verbergen.
»Ach, Miss Osman. Sind Sie hier, um mir mehr über Suzanne zu erzählen?«
Merle Osman breitete die eleganten Hände aus.
»Nun, sie war wunderschön. Aber das wissen Sie schon. Außerdem war sie promiskuitiv. Sie hatte einen Hang zur Gefahr, zu gefährlichen Männern. Man will sich gar nicht ausmalen …«
»Ich wohl«, warf Clare ein.
»Das ist Ihr Job, Dr. Hart. Darüber zu spekulieren, was früher geschehen ist.«
Clare deutete auf das Gemälde im Zentrum der Installation. »Das ist keine von Liliths Arbeiten.« Das Gemälde zeigte eine ausgetrocknete weiße Ebene, ein Militärfahrzeug. Auf der Ladefläche junge Männer in Uniform. Durchtrainiert. Mit verhärteten Gesichtern.
»Nein, ganz recht. Das hat die bezaubernde Suzanne gemalt. Ich weiß nicht, wo Lilith es aufgetrieben hatte. Es stammt aus der ersten Ausstellung ihrer Mutter.«
Sie drehte sich um und
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