Galgenberg: Thriller (German Edition)
Namen und Nummern auf dem Klingelschild ausgebleicht. Sie rechnete sich aus, welcher Knopf für Apartment 707 galt, und drückte.
»Ja?«
»Ist dort Jacques Basson?«
»Ja. Wer ist da?«
»Ich bin Clare Hart«, stellte sie sich vor. »Raheema Patel, Major Phiri …«
Die schwere Glastür öffnete sich mit einem Klicken. Clare trat ein, fuhr mit dem Lift in den siebten Stock und ging den Gang hinunter, an Badezimmerfenstern und Küchentüren vorbei. Apartment 707 befand sich am anderen Ende. Neben der Tür hielt ein köstliches Monster Wache.
Clare klopfte an.
» Kom binne. Die deur is oop.«
Eine sehr tiefe Stimme, unter der mühsam gezügelter Zorn brodelte. Eine akustische Drohgebärde. Wie die Ausbuchtung einer Waffe unter einem Hemd. Clare kannte die Stimme aus ihrer Kindheit. Der strenge Vater ihrer Mutter, ihre Onkel. Steife Calvinisten, die es ihrer Mutter nie vergeben hatten, dass sie einen engelsman geheiratet hatte. Oder dass sie – wenn auch erfolglos – versucht hatte, ihrer engmaschigen, engstirnigen, abgekapselten Sippe zu entkommen.
Sie drückte die Tür auf. Sonnenschein überflutete den Flur. An der Wand ein flächendeckendes Gemälde einer nackten Frau, deren abgeschnittener Leib die Leinwand ausfüllte. Es zeigte den Körper vom Schenkel an aufwärts, dazu ein Haarbüschel unter dem gerundeten Bauch und angeschwollene Brüste. Die Arme, über den Kopf gereckt, verschwanden außerhalb des Rahmens. Ein rundes Kinn und der volle Mund waren alles, was vom Gesicht erkennbar war. Über die Augen war ein blaues Tuch gebreitet. Es wirkte gleichzeitig erotisch und abstoßend.
»Ich bin Jacques Basson.«
»Clare Hart.« Sie schüttelte seine Hand und begriff, dass die erste Runde an ihn gegangen war. »Ich bin …«
»Ich weiß, wer Sie sind«, unterbrach er sie. Er stand ihr ein paar Zentimeter zu nahe. Schätzte dabei ihre Reaktion ab und erfasste ihr Unbehagen mit mathematischer Präzision. »Sie sehen besser aus als auf den Fotos.« Blondes Haar, zu Grau verblichen, das kantige Gesicht eines Soldaten. Die Schultern immer noch durchgestreckt wie in Habachtstellung.
»Kommen Sie, Dr. Hart.«
Er führte sie ins Wohnzimmer. Abgesehen von einem Liegesessel vor dem Fernseher war bei der Einrichtung eher auf Wirkung als auf Bequemlichkeit oder Gastlichkeit geachtet worden.
»Was für eine Aussicht.« Clare blickte in Richtung Seal Island und auf ein paar Fischerboote, die sich zum Hafen in der Kalk Bay vorkämpften.
»Ich bin aus dem Karoo«, erklärte Basson, den Rücken dem Panoramablick zugewandt. »Ich habe mich nie wirklich ans Meer gewöhnt.«
In der Wohnung war es heiß und stickig, der Wind rüttelte heulend an den Fenstern wie ein hartnäckiger Bettler.
Clare bemühte sich, ihr Unbehagen zu überspielen.
»Soll ich Ihnen ein Fenster öffnen, Dr. Hart?«
Runde zwei. Die hatte er auch gewonnen.
»Danke«, sagte Clare und stellte sich neben den Spalt im Schiebefenster, durch den der Wind jetzt kreischend ins Haus fegte.
Der Raum war vielleicht klein, aber Basson – einstmals Colonel Basson – hatte nichts von seiner Autorität verloren.
»Kann ich Ihnen etwas Wasser anbieten? Im Februar ist es immer so heiß.«
Bevor sie antworten konnte, war er in der Küche verschwunden.
Sie drehte sich zu den Fotos auf einem kleinen Schränkchen um. Familienporträts, Männer, die genau wie Basson aussahen, dazu teigige, resignierte Frauen. Ein Gruppenbild von Soldaten mit Gewehren und Schnauzern. Das 32. Bataillon. Ein Name, der manche schaudern ließ und andere mit stillem Stolz erfüllte. Bäuerliche Jungmannen auf einem Bedford. Das flache Ovamboland weit und bleich im Hintergrund.
Basson kehrte zurück.
Wasser. Eis. Zwei Gläser. Ein Metalltablett.
Gastlichkeit als Drohung.
»1980.« Basson bedeutete ihr, sich zu setzen. »Damals regnete es zwei Jahre nicht. Man konnte verrückt werden, so weiß waren die oshanas – diese ausgetrockneten vleis , Sie wissen doch? –, und so unabänderlich blau war der Himmel, sommers wie winters.«
Ausdruckslose graue Augen.Wie die leeren Augen der Jungen auf den Fotos.
»Aber Sie sind bestimmt nicht hergekommen, um sich meine alten Fotos anzusehen, nicht wahr, Dr. Hart?« Ein Lächeln, bei dem sich zu dünne, allzu rosafarbene Lippen von seinen Zähnen schälten.
Er reichte Clare ein Wasserglas.
Musikerhände – oder die eines Folterknechts. Der Klavierspieler, der jeden zum Singen bringen konnte.
»Nein, danke. Es geht
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