Galgentochter
trug.
«Zum Kaufmann und Patrizier Eibisch wollen wir. Es ist dringend.»
«Der Herr ist noch im Kontor. Tretet ein und wartet hier, bis ich Euch gemeldet habe.»
Es dauerte nur wenige Augenblicke, die der Richter und der Bürgermeister in der Diele, die beinahe schon eine Empfangshalle war, warten mussten. Heinz besah sich aufmerksam die Teppiche, welche die Wände bedeckten, die kostbaren Schnitzereien, mit denen die beiden großen Schränke versehen waren, und das kleine Tischchen aus Kirschbaumholz, auf dem die Hüte des Hausherrn lagen.
«Guten Abend, die Herren, Gott zum Gruße. Kommt herein, kommt herein.» Die dröhnende Stimme Eibischs drang durch den Flur. Der Kaufmann, angetan mit einem Wams aus Samt, kam händereibend auf die beiden zu. «Begleitet mich in mein Arbeitszimmer», bat er und trug der Magd auf: «Bring eine Kanne vom Roten aus dem Burgund. Und die Gläser dazu.»
Die Magd nickte und eilte davon, der Richter und der Bürgermeister stiegen hinter dem Kaufmann die Treppehinauf und nahmen kurz darauf auf bequem gepolsterten Armlehnstühlen in einem großen Arbeitszimmer Platz. Wieder sah der Richter sich um, betrachtete die Landkarten an der Wand, die Warenproben in den Regalen, den großen Arbeitstisch, der von Kontorbüchern übersät war. Der Kaufmann thronte mächtig, mit breiten Schultern, einem kantigen Schädel und einem Bauch, der über das Beinkleid quoll, hinter seinem Arbeitstisch. Als die Magd den Wein eingeschenkt und das Zimmer verlassen hatte, fragte er, nunmehr nicht mehr so jovial wie eben: «Es ist ungewöhnlich, dass der Zweite Bürgermeister und der Richter einem anständigen Kaufmann in den Abendstunden einen Besuch abstatten. Was ist geschehen?»
Der Richter sah zum Bürgermeister, der Bürgermeister nickte ihm zu. Feiger Hund, dachte Blettner, dann räusperte er sich: «Wir kommen mit einer schlimmen Nachricht, Herr. Euer Sohn Sebastian wurde heute am Nachmittag vom Stadtmedicus tot unter dem Galgen gefunden. Wir gehen davon aus, dass er ein Opfer des Mörders war, welcher derzeit sein Unwesen in der Stadt treibt.»
Er schluckte, sah vorsichtig zu Eibisch. Dessen Gesicht hatte sich knallrot verfärbt, die Lippen bebten. Sein Mund öffnete und schloss sich wieder. Heinz sah, wie er die Fäuste, die auf dem Tisch lagen, ballte und wieder losließ, ballte und wieder losließ.
Dann, Heinz erschien es, als wären Stunden verstrichen, räusperte sich der Kaufmann und sagte mit merkwürdig hoher Stimme: «Ihr müsst Euch irren, meine Herren. Mein Sohn kann nicht tot sein. Er ist ein Patrizier, wird in Kürze das Handelshaus übernehmen. Erst vor vier Wochen hat er sich verlobt. Nein, einer wie mein Sohn wird nicht ermordet.»
Heinz schwieg, sah den Bürgermeister an. Der sagte nun: «Es tut mir leid, Ratsherr.»
Mehr nicht. Jetzt sprang der Patrizier auf, lief zur Tür, riss sie auf und rief mit lauter Stimme: «Sebastian? Sebastian! SEBASTIAAAAAAAN!»
Niemand antwortete. Der Richter und der Bürgermeister hörten, wie der Kaufmann den Gang entlangrannte, eine Zimmertür aufriss. Kurz darauf hörten sie einen Aufschrei, der in ein Schluchzen mündete.
«Lasst uns gehen», sagte der Bürgermeister mit dumpfer Stimme. «Wir können hier nichts mehr tun.»
Die beiden Männer standen auf, gaben der Magd Bescheid, sie solle sich um ihren Herrn kümmern, dann verabschiedeten sie sich wortkarg voneinander.
Kapitel 26
Hella lief allein über die Alte Brücke nach Sachsenhausen. Für einen Augenblick bereute sie es, Gustelies nicht mitgenommen zu haben. Doch die Mutter konnte heute nicht. Pater Nau bekam Besuch aus Mainz. Ein Schreiber aus der Kanzlei des Erzbischofs hatte sich angekündigt, um im Beisein eines Notars den Opferstock in der Kirche zu öffnen und die Gelder nach Mainz zu bringen. Zuvor aber wollte der Hohe Herr aus Mainz gern ein wenig von Gustelies’ berühmtem Wildbraten kosten und sich dazu eine Pilzpfanne schmecken lassen. Auch auf den Nachtisch, so hatte er durch einen Boten bestellen lassen, freue er sich schon sehr. Ob noch etwas von dem köstlichen Pflaumenmus da wäre?
Gustelies hatte bereits den gesamten vorigen Tag am Herd verbracht, und kein Mord und kein Totschlag vermochten es, sie heute aus der Küche zu vertreiben. «Ich will, dass mein Pater einen guten Eindruck beim Erzbischof hinterlässt. Wer weiß, vielleicht wird er eines Tages der Priester des Bartholomäusdoms, und ich werde fortan bei den Königswahlen ganz vorn sitzen?»
So war
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