Galgentochter
herangekommen.«Du hast vermutlich recht, Hella. Der Tote könnte über den Flussweg hierhergeschafft worden sein. Ich habe die Spuren genau protokolliert und sogar Zeichnungen angefertigt.»
Der Regen war unterdessen weiter in gleichförmigen Fäden vom Himmel gefallen. Hella bemerkte, dass ihr die Nässe bis auf die Haut gekrochen war. Sie fror. Auch Heinz Blettner hatte die Schultern zusammengezogen und war ganz in seinen Umhang gekrochen. Er sah seufzend zum Himmel, dann wandte er sich an den Scharfrichter und den Leichenbeschauer. «Ich erwarte Eure Protokolle bis morgen früh im Malefizamt. Scharfrichter, schafft die Leiche weg. Einen gesegneten Abend, die Herren.»
Er zog sein Barett, der Leichenbeschauer und Henker taten es ihm nach. Dann nahm er Hellas Hand und zog sie zur anderen Seite des umzäunten Areals, wo ein Stadtknecht mit den Pferden wartete. Als sie an der Leiche vorüberkamen, blieb Hella stehen und bekreuzigte sich. Die Männer taten es ihr nach.
Als sie die Pferde erreicht hatten, bat der Richter den Boten: «Sag dem Zweiten Bürgermeister Bescheid, dass es sich bei dem Toten um den Sohn des Patriziers Eibisch handelt. Der Bürgermeister wird die Todesnachricht vielleicht selbst überbringen wollen. Aber eile dich nicht. Ich möchte erst nach Hause und die Sachen wechseln.»
Der Bote nickte, half dem Richter aufs Pferd, half Hella, sich hinter ihren Mann zu setzen, dann fragte er: «Ich habe seit heute Morgen nichts gegessen. Soll ich gleich zum Herrn Bürgermeister?»
Der Richter schüttelte den Kopf. «Geh nach Hause und iss. Der junge Eibisch ist und bleibt tot, gleichgültig, ob du jetzt oder später isst.»
Dann ritten die Blettners gemeinsam zurück in die Stadt. Als die Magd ihre Herrschaften so durchnässt sah, schrie sie leise auf: «Herr im Himmel. Ihr werdet noch krank. Ich bereite Euch gleich einen Zuber mit heißem Wasser und einen heiße Honigmilch dazu.» Schon eilte sie, brachte einen Zuber in die warme Küche, goss Wasser hinein. Als der Zuber voll war, sagte Hella: «Du kannst gehen. Ich werde meinem Mann beim Baden helfen. Wenn wir fertig sind, rufen wir dich.»
Die Magd nickte, knickste leicht, dann eilte sie die Stufen hinauf in ihre Kammer.
Hella zog sich die nassen Kleider vom Leib. Heinz tat dasselbe. Dann saßen sie beide gemeinsam im heißen Zuber. Hella hatte ihre Füße so gesetzt, dass Heinz darauf saß, seine Füße ragten hinter ihren Schultern aus dem Wasser. Obwohl ein gemeinsames Bad im Zuber für die beiden stets ein großes sinnliches Vergnügen mit Gelächter und Gezärtel war, saßen sie heute einander stumm gegenüber und hingen ihren Gedanken nach.
Schließlich bemerkte Heinz: «Eibisch wird mir keine ruhige Minute mehr lassen. Himmel und Hölle wird er in Bewegung setzen, damit ich den Mörder seines Sohnes finde.» Er seufzte laut.
Hella biss leicht in seinen großen Zeh, dann erwiderte sie: «Wir haben heute viel herausgefunden. Wir wissen, auf welchem Wege der Mörder oder die Mörderin ihre Opfer zum Galgen bringt. Wir wissen auch schon, dass die Morde im Heu oder Gras geschehen sind. Vielleicht an den Uferwiesen. Noch einmal musst du Befragungen vornehmen. Geh ins Hurenhaus. Vielleicht hat jemand den Patrizierssohn am Mainufer gesehen. Frag auch nach dem Pfarrer, dem Gewandschneider und der Wanderhure. Wir wissenauch, dass der Mörder immer am späteren Abend oder in der Nacht tötet. Und wir wissen vor allem, dass die Gaukler unschuldig sind. Denn als dieser Mord geschah, saßen sie im Verlies.»
«Ja, ja», stöhnte der Richter. «Aber noch immer wissen wir nicht, aus welchem Grund der Mörder tötet, wissen nicht, in welchem Zusammenhang die Opfer miteinander stehen.»
Hella bewegte die Arme im heißen Wasser, dann überlegte sie laut: «Der Mörder hängt einen Hund an den Galgen. Diese Besonderheit haben wir bisher noch kaum beachtet. Der Hund ist ein Zeichen von großem Ehrverlust. Was aber ist ein großer Ehrverlust?»
«Für einen Mann ist es das, wenn seine Frau ihm Hörner aufsetzt. Oder wenn seine Laufbahn nicht so gelingt, wie er sich das vorstellt. Wenn seine Werkstatt oder sein Geschäft überschuldet ist. Wenn er seiner Frau nicht mehr beiwohnen kann und dies ruchbar wird. Wenn er Spielschulden nicht bezahlen kann.»
«Für eine Frau bedeutet Ehrverlust», fügte Hella hinzu, «wenn ihre Tugend beschmutzt ist, wenn sie als liederlich gilt, aber auch, wenn ihre Kinder nicht gut geraten, wenn sie keine gute Hausfrau ist.
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