Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
Vom Netzwerk:
Oder aber auch, wenn der Mann ein bekannter Schürzenjäger ist. Denn dann heißt es gleich, sie wäre eine mit einem trockenen Schoß, die nicht wüsste, was ein Mann braucht.»
    «Könnte man also sagen, dass ein Ehrverlust immer mit Scham und Schande einhergeht?»
    Hella nickte.
    «Ehrverlust stellt sich aber doch nur in der Gesellschaft her. Darum aber kann es dem Mörder oder der Mörderin ja nicht gehen. Ich denke, mit dem Hund ist etwas anderesgemeint. Was müsste geschehen, damit ich in deinen Augen meine Ehre verliere?», fragte Heinz.
    Hella spürte auf einmal, wie ein Kribbeln durch ihr Inneres kroch. «Das ist die richtige Frage!», stieß sie aufgeregt hervor. «Genau das ist die Frage, die wir beantworten müssen, um die Beweggründe des Mörders herauszufinden.»
    «Also: Wann würde ich meiner Ehre in deinen Augen verlustig gehen?»
    «Hmm», machte Hella und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen das Kinn. «Wenn du mich verraten, vor anderen lächerlich machen würdest. Wenn du mich demütigen würdest. Wenn du Versprechen nicht einhieltest, mich nicht schützt und mich geringhältst. Wenn du die Macht, die der Mann nun einmal von Gott über die Frau erhalten hast, ausnutzen würdest. Reicht das? Mir fällt sicher noch mehr ein, wenn ich darüber länger nachdenke.»
    «Wenn du Macht missbrauchst oder jemanden verrätst?», fragte der Richter nach.
    Hella nickte. «Und wann würde ich vor dir meine Ehre verlieren?»
    Jetzt war es der Richter, der nachdachte. Beim Denken bewegte er seine Füße hin und her, sodass kleine Wellen des mit Rosenöl versetzten Badewassers über Hellas Schultern glitten. «Wenn du mich verrätst, mich lächerlich machst, mich demütigst. Und natürlich auch, wenn du die Macht, die du über mich hast, missbrauchst.»
    Hella lachte auf. «Seit wann haben Frauen Macht über Männer?»
    Der Richter lächelte, betrachtete seine nackte Frau und sagte: «In Momenten wie diesem, wenn du so nackt vor mir sitzt, dann kannst du von mir verlangen, was immer du willst.»
    Jetzt lachte auch Hella, rappelte sich hoch, legte ihrem Mann die Arme um den Hals und küsste ihn.
    Als die Magd später die Küche aufräumte, fragte sie sich, was um Herrgotts willen ihre Herrschaften wohl getan hatten, denn die halbe Küche stand unter Wasser, der Zuber aber war nur noch halbvoll. Doch sie kam nicht darauf.
     
    Als Heinz angezogen war, küsste er seine Frau auf das nasse Haar. «Ich gehe zum Zweiten Bürgermeister. Wahrscheinlich muss ich ihn danach zum alten Eibisch begleiten. Es kann spät werden heute Abend.»
    «Ich weiß nicht, was ich dir wünschen soll, Heinz. Vergiss nicht, dass wir heute sehr viel herausgefunden haben. Sogar die Beweggründe des Mörders sind jetzt greifbar geworden.»
    «Dank dir, Liebes.» Heinz küsste seine Frau noch einmal, dann ging er.
     
    Der Zweite Bürgermeister erwartete ihn schon im Malefizamt. «Was für ein Unglück!», klagte er und presste sich die Hände an die Schläfen. «Ausgerechnet der Sohn des Eibisch! Aber das hat ja so kommen müssen.»
    «Was meint Ihr damit?», fragte Heinz.
    Der Bürgermeister sah sich im Zimmer um, als erwarte er, dass den Wänden Ohren wüchsen. «Wisst Ihr nicht, was man sich über ihn erzählt?»
    Heinz schüttelte den Kopf.
    «Es heißt, er sei süchtig nach Mohnsaft und anderen Rauschmitteln, die einem den Kopf vernebeln und alle Dämonen der Welt vor den eigenen Augen aufsteigen lassen. Manche sagen sogar, er flöge zur Walpurgis gemeinsam mit den Hexen zum Brocken.»
    «Gewäsch!», fuhr Heinz dazwischen. «Das erzählen sich die Weiber am Brunnen. Schenkt Ihr denen etwa Glauben?»
    Der Bürgermeister zuckte mit den Achseln. «Unser Kaiser Karl   V. wird nicht umsonst einen Dominikanermönch zum Inquisitor bestellt haben, der solchen Dingen auf den Grund geht. Natürlich, ich gebe es zu, Männer neigen nicht zum Hexentum. Ein Weib wird den Eibisch verführt haben. Und mit den Weibern hat er es ja auch gehabt. In jeder Gasse ein Liebchen, heißt es. Und kein Unterschied zwischen einer Patrizierstochter und einer Magd. Genommen hat er, was ihm vor den Hosenlatz kam. So einer war das. Kein Wunder also, dass er jetzt tot unterm Galgen liegt.»
    «Süchtig nach Schlafmohn also», wiederholte der Richter. Dann fragte er: «Wo bekommt man diesen Saft, diesen Mohnsaft?»
    Der Bürgermeister zuckte mit den Achseln. «Weiß ich’s? Mein Lebtag hatte ich nichts zu tun mit solchem Zeug. Die Kräuterweiber werden damit handeln.

Weitere Kostenlose Bücher