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Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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weiter.
    ‹Doch, doch. Natürlich. Ich werde gleich morgen zu ihr gehen und fragen, wie es weitergehen soll mit der Werkstatt.›
    ‹Ihr wollt sie verheiraten?›
    ‹Was denn sonst? So gehört sich das. Das Leben muss weitergehen, und auch die Vossin muss leben. Das Beste wäre, sie verheiratet sich.›
    ‹Mit dem Altgesellen?›
    Amedick hob die Schultern. ‹Schon möglich›, und wurde auf einmal wortkarg.
    ‹Aber was, wenn es stimmt, was die Mägde am Brunnen tratschen? Wenn es Selbstmord war?›
    Amedick ließ sich davon nicht beeindrucken. ‹Selbstmord hin, Selbstmord her. Die Vossin kann nichts dafür und die Zunft auch nicht.›
    Dann erledigten wir die Geldgeschäfte, und für mich gab es leider keinen Grund mehr, in seinem Haus zu bleiben.»
    Die Geldwechslerin brach ab und seufzte. «Dein Mus macht Durst, meine Liebe.»
    Gustelies goss der Freundin einen Becher Wasser ein.
    «Was soll ich mit Wasser? Bin ich etwa ein Fisch? Wein will ich.»
    Hella war belustigt, holte aber den Weinkrug und goss den Becher voll bis zum Rand.
    Gustelies saß da, die Hände im Schoß, und starrte auf den Tisch. «Das englische Tuch», murmelte sie. «Wie erfährt man, woher Amedick es hat? Wie erfährt man außerdem, was der alte Voss über diesen Betrug wusste? Wenn mich nicht alles täuscht, so liegt der Schlüssel des Rätsels bei Amedick.»
    Hella saß auf der Küchenbank, die Hände unter den Oberschenkeln, und wippte mit den Füßen. «Wir müssenins Kaufhaus gehen. Wenn die Hintererin uns das Läppchen gibt, fragen wir die Händler, die von überallher kommen, ob jemand etwas über genau diesen Stoff weiß.»
    Die Geldwechslerin lachte: «Gar nicht dumm, die Kleine. Der Vorschlag hätte von mir kommen können.»
    Gustelies betrachtete ihre Tochter stolz und liebevoll und sagte dann mit einem Augenzwinkern: «Das kommt davon, weil sie als Kind so häufig Nussmus gegessen hat. Nüsse sind gut für den Geist und den Verstand.»
     
    Am nächsten Morgen saß Richter Blettner missgelaunt am Frühstückstisch. «Ich muss zu einem Urteil gelangen», brummte er und wischte sich über die Augen. «Diese Gewandschneidersache raubt mir noch meinen verdienten Nachtschlaf. Heute ist schon Dienstag. Am Donnerstag soll der Rat entscheiden. Wenn ich nur wüsste, was ich ihnen vortragen soll!»
    Er sah so kläglich drein, dass Hella über den Tisch griff und seine Hand streichelte. «Gut Ding will Weile haben», sagte sie tröstend. «Wer weiß, was der Tag heute bringt. Am Abend wirst du klüger sein.»
    Der Richter kniff misstrauisch die Augen zusammen. «Gibt es etwas, was du weißt und ich wissen sollte?», fragte er.
    Hella schüttelte den Kopf, sah aber an ihrem Mann vorbei. «Man macht sich halt so seine Gedanken.»
    «Aha! Und was für Gedanken sind das, wenn ich fragen darf?»
    «Darfst du, aber erst heute Abend. Erzähl mir lieber, wo dich in dieser Angelegenheit besonders der Schuh drückt.»
    Der Richter kratzte sich am Kinn. «Der Abschiedsbriefstört mich. Der Gewandschneider war kein Kirchenlicht. Aber dass er so schlecht ist, die eigene Familie ins Unglück zu stürzen, indem er sich das Leben nimmt, das mag ich auch nicht glauben. Ich kann mir denken, dass jemand ihn gezwungen hat, diesen Brief zu schreiben. Oder er wusste nicht mehr, was er tat.»
    «Geschieht ein Selbstmord nicht zumeist aus höchster seelischer Not?», fragte Hella.
    «Schon, schon. Was aber, wenn jemand einen anderen in den Selbstmord treibt? Sollte man da nicht eher von Mord sprechen?»
    Hella wiegte den Kopf. «Aber der Täter ist der, der Hand anlegt. Und du darfst auch den Hund nicht außer Acht lassen.»
    «Habe ich nicht, mein Herz. Habe ich nicht.» Richter Blettner hob den Finger. «Dieser Hund muss ja nicht von den Toten selbst an den Galgen gehängt worden sein. Es gibt genügend Menschen, die vor Selbstgerechtigkeit nur so triefen und meinen, ihren Abscheu kundtun zu müssen.»
    «Du meinst jemanden wie den Patrizier Hollenhaus? Jemanden, der sich berufen fühlt zu werten?»
    «Die Stadt wimmelt von solchen Leuten. Leute, die es immer besser wissen, Leute, die glauben, den rechten Weg und die Sitten und die Ordnung für sich gepachtet zu haben. Leute, die den Satz ‹Das hätte ich euch gleich sagen können!› wie einen Stempel auf der Stirn tragen. Das fängt damit an, dass sie am besten wüssten, was für die Nachbarn gut und richtig ist. Und es könnte zum Beispiel dort enden, wo jemand meint, ein Toter unter dem Galgen wäre

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