Galgentochter
so ehrwidrig, dass ein Hund als Zeichen dafür an den Balken gehängt werden muss.»
«Wenn das so wäre, dann könntest du getrost von Selbstmord ausgehen. Sowohl bei der Hure als auch beim Gewandschneider», gab Hella zu bedenken. «Wenn du deinen Gedanken jedoch Mord zugrunde legst, wäre es auch möglich, dass der Mörder die Hunde dorthin gehängt hat.»
«Es gibt noch eine dritte Möglichkeit, Liebes. Nämlich: Die Hure ist ermordet worden, und der Gewandschneider hat sich selbst gerichtet, gehofft, dass sein Brief unter das Beichtgeheimnis fällt, und den Hund benutzt, um die Schande von seiner Familie fernzuhalten.»
«Als Viertes fällt mir noch ein, dass die Hure sich selbst getötet hat, der Gewandschneider aber umgebracht und der Hund dazu benutzt wurde, den Richter auf eine falsche Fährte zu locken», warf Hella ein.
Der Richter senkte den Kopf und stocherte lustlos in seiner Morgengrütze herum. «Es ist verzwickt, einfach nur verzwickt.»
«Wenn alles nicht hilft, kannst du am Donnerstag bei der Vorlage der Criminalia vor dem Rat mitteilen, dass du zu keinem Ergebnis gekommen bist, und die Sache den Syndici übergeben. Sollen sich die Rechtsgelehrten damit abplagen. Auf dich warten jeden Tag neue Aufgaben.»
Der Richter brummte. «Das ist mir nicht recht. Diese Syndici glauben sich den Richtern in jeder Hinsicht überlegen. Übergäbe ich ihnen den Fall, so wäre das ein Eingeständnis meines Unvermögens.»
«Unvermögen hin, Unvermögen her. Dein Nachtschlaf ist mir wichtiger als das, was die Syndici von dir denken könnten. Außerdem hast du in den vier Jahren deiner Amtszeit die Syndici noch nie bemüht. Andere Richter sind da nicht so zimperlich.»
Heinz lächelte bei den Worten seiner Frau, atmete nocheinmal ganz tief ein und aus, stand auf und strich ihr über das Haar. «Es ist schön, dass es dich gibt, weißt du das?», fragte er leise.
Hella nickte, schlang ihre Arme um seine Hüften und barg das Gesicht an seiner Brust.
Eine Stunde später, der Richter war schon lange im Malefizamt, traf sich Hella vor dem städtischen Kaufhaus, das in den Römerhallen untergebracht war, mit ihrer Mutter Gustelies.
Frankfurt war eine freie Reichs- und Messestadt und hatte schon vorzeiten das Stapelrecht vom Kaiser verliehen bekommen. Dieses Stapelrecht besagte, dass ein jeder Kaufmann, dessen Weg über Frankfurt führte, ganz gleich, ob zu Wasser oder zu Land, seine Waren für drei Tage im städtischen Kaufhaus feilhalten musste.
Deshalb war das Kaufhaus der tägliche Versammlungsort aller Frankfurter Kaufleute, die Ausschau hielten nach Waren ihrer fremden Berufsgenossen, die sich mit Gewinn weiterverkaufen ließen. Die Ware im Kaufhaus wurde zumeist in großen Posten abgegeben, hauptsächlich, um die Frauen fernzuhalten, die nur ein Zehntelchen Pfeffer oder ein halbmeterlanges Stück Stoff haben wollten. Es lohnte für die Kaufleute nicht, die mit Pech verschmierten Fässer aufzubrechen für zehn Pfefferschoten oder ganze Ballen Stoff für ein winziges Stückchen auseinanderzunehmen.
Hier im Kaufhaus wurde in großen Mengen gehandelt. Deshalb und wegen der vielen fremden Sprachen, die ringsum zu hören waren, gingen Hella und Gustelies ein bisschen eingeschüchtert durch die langen Hallen.
Ein Kaufmann aus Bordeaux rief sie auf Französisch an, doch die beiden Frauen verstanden kein Wort und winktennur freundlich. Ein tschechischer Glashändler rannte ihnen mit einem reichverzierten Weinkelch nach, doch wieder verstanden sie nichts.
«Wie sollen wir nach dem Stoff bei den Engländern fragen, wenn wir doch kein Wort ihrer Sprache verstehen?», fragte Gustelies bang.
«Oh, das ist nicht so schwierig», erwiderte Hella. «Ich hatte in der Klosterschule, in die du mich gegeben hast, um vergeblich eine vornehme Erziehung an mir zu versuchen, ein wenig Latein. Ich werde die Herren auf Lateinisch um Rat fragen.»
Sie trat an einen Kaufmann heran, dessen Stoffballen alle einen britischen Stempel hatten, und zeigte ihm das Stoffstückchen.
«Potesne mihi dicere, quaeso, quo plus istius lintei emere possim? Könnt Ihr mir sagen, woher ich noch mehr davon bekomme?», fragte sie.
Der Kaufmann befühlte den Stoff, roch daran, rieb ihn noch einmal zwischen Daumen und Zeigefinger, ehe er antwortete: «Nescio. Non de Britannia afferebatur. Quaere mercatores Polonios. Forte iste linteus in eorum textrinis factus est. Ich weiß es nicht. Aus England kommt er nicht. Fragt die polnischen Händler.
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