Galgentochter
murmelte er vor sich hin. «Ich habe den Teufel besiegt.» Er hob den Kopf zum Kreuz über dem Altar, hob auch den Säugling hoch über seinen Kopf und sang so laut er konnte: «Ehre sei Gott in der Höhe.»
Dann schritt er, seinen Sieg zu feiern. Er hob eine Grube hinter dem Friedhof in ungeweihter Erde aus, legte den Säugling hinein, schüttete Dreck darüber. Dann suchte er nach einem Pfahl und trieb ihn durch die Erde hindurch dem Säugling ins Herz.
Nur der Mond beschien das Geschehen. Nur der Mondsah das Mädchen in der offenen Kirchentür, mit blutendem Schoß und kraftlosen Beinen im Rahmen lehnend. Niemand hörte den stummen Schrei, niemand das Flüstern: «Es war mein Kind. Nicht der Teufel. Doch der Teufel soll dich holen!»
Kapitel 15
«Es ist gut möglich, dass Amedick polnisches Tuch für englisches verkauft. Möglich ist außerdem, dass der Gewandschneider Voss sich von diesem Betrug fernhielt. Sei es, weil er die Kunden nicht hatte für englisches Tuch. Sei es, er war ein Wüterich und Hurenbock, aber doch eine ehrliche Haut.»
Richter Blettner ließ die Gabel sinken, als Hella mit diesen Worten zum Ende ihres Berichtes kam.
«Willst du damit sagen, dass Amedick als Zunftmeister und mit ihm einige andere Zunftmitglieder an einem Betrug beteiligt sind?»
«Es sieht so aus. Und Amedick hätte einen Grund für den Mord gehabt, hätte Voss seine Machenschaften verraten wollen.»
Der Richter seufzte. «Und wozu die schriftliche Beichte?»
Hella zuckte mit den Achseln, Heinz schob den Teller von sich.
«Hast du keinen Hunger?», fragte sie besorgt.
Der Richter schüttelte den Kopf. «Übermorgen muss ich dem Rat diesen Fall vorstellen. Ich habe keine Ahnung, wie ich entscheiden soll.»
Hella schob ihm den Teller mit sanftem Nachdruck wieder hin. «Iss, Heinz, und hör mir zu.»
Der Richter nahm seinen Löffel, rührte in der Suppe herum. «Ich höre.»
«Ich würde an deiner Stelle gleich morgen die Büttel zu allen Gewandschneidern schicken und Ballen dieses Stoffes», sie legte das kleine graue Läppchen auf den Tisch, «beschlagnahmen lassen. Auch ins Kaufhaus schick einen Stadtknecht. Ein Händler aus Polen namens Jurek hat von diesem Stoff. Ich habe ihn heute mit eigenen Augen gesehen. Dann würde ich die Gewandschneider einzeln ins Malefizamt zum Verhör holen. Ich bin sicher, sie werden dir alles sagen, was du wissen willst. Den Tod des Gewandschneiders aber würde ich in die Hände der Syndici legen. Stell dir vor, du entscheidest auf Selbstmord. Dann hast du eine Familie zerstört. Entscheidest du aber auf Mord, musst du einen Mörder liefern. Du hast aber bisher nur unbestimmte Verdachte. Die Vossin könnte es gewesen sein, doch sie war, wie du sagtest, am Todestag die ganze Zeit zu Hause. Der Altgeselle könnte es gewesen sein, doch der hat Zeugen dafür, dass er an dem Tag erst in der Werkstatt und dann in der Schenke war. Vielleicht war es ja Amedick. Vielleicht jemand ganz anders. Du hast genug mit den Fällen zu tun, die dir jeder neue Tag bringt. Du würdest deine eigentlichen Aufgaben vernachlässigen, wenn du noch weiter am Tod des Gewandschneiders arbeitest.»
Richter Blettner hatte gut zugehört. Jetzt nickte er langsam. «Du hast recht, Hella. Obwohl ich zehn Jahre älter bin als du, kann ich doch immer wieder von dir lernen. Ich bin es der Stadt schuldig, mich ordentlich um das Tagesgeschäft zu kümmern. Das ist richtig. So werde ich es machen.»
Die Sorgenfalten des Richters glätteten sich. Er aß mit gutem Appetit, sank friedlich in den Schlaf, erwachte ausgeruht, schickte die Büttel zu den Gewandschneidern und ins Kaufhaus zu Jurek, dann führte er die Verhöre. Schon der erste Schneider gestand, dass er seine Kunden betrogenhatte. «Es war Not, Hoher Herr Richter. Reine Not. Ich brauchte Aufträge, habe ein Weib und sechs Kinder. Was hätte ich machen sollen?»
Nach und nach stellte sich heraus, dass der Zunftmeister Amedick alle seine Zunftgenossen erpresst hatte. Er hatte von Jurek den Stoff bekommen, ihn als englisches Tuch an die Schneider weiterverkauft und so einen fetten Gewinn eingestrichen. Die Schneider aber verkauften das Polentuch wider besseres Wissen ebenfalls als englisches, um den hohen Einkaufspreis, den Amedick von ihnen verlangt hatte, wieder wettzumachen.
«Warum in aller Welt», fragte Richter Blettner einen anderen Gewandschneider, «habt Ihr alle das Tuch von Amedick gekauft, anstatt Euch selbst zu versorgen?»
Der Gewandschneider
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