Galgentochter
das Vaterunser und bekenne meine Sünden.»
Die Hebamme betrachtete das blasse, feingeschnittene Gesicht des Mädchens, die Augen, die niemals klar, sondern immer ein wenig verschleiert waren.
«Hast du schon mal bei einem Mann gelegen?», fragte die Hebamme, fasste die Hand des Mädchens und streichelte sie.
Das Mädchen schwieg.
«Du musst mir nicht sagen, wer der Mann war, bei dem du gelegen hast. Du bist jung und kennst die Menschen schlecht. Es kann leicht passieren, dass ein junges Ding wie du sich vergisst und seine Tugend herschenkt.»
Das Mädchen schüttelte den Kopf. «Auf die Art habe ich bei keinem gelegen», flüsterte sie.
Die Hebamme biss sich auf die Lippen. «Wo warst du, ehe du hierhergekommen bist?»
Das Mädchen schwieg.
«Hat sich einer genommen, was ihm nicht zustand? Was du ihm freiwillig nicht gegeben hättest?»
Das Mädchen nickte.
«Weißt du, wer er war? Kennst du seinen Namen? Seine Herkunft? Seinen Beruf?»
«Er hätte mir niemals ein Kleid gemacht», flüsterte sie. «Nicht einmal geduldet hätte er, dass ich das seine berühre.»
«Ein Gewandschneider?»
Das Mädchen schwieg.
«Wie lange ist das her? Seit wann blutest du nicht mehr?»
Jetzt sah das Mädchen hoch, sah zum Pfarrhaus hinüber. «Seit ich hier bin.»
«Hat sich dein Körper verändert? Sind die Brüste größer geworden, der Leib geschwollen?»
Das Mädchen nickte. «Die Brüste. Sie sind so schwer geworden.»
Die Hebamme nickte. Dann nahm sie die Finger zu Hilfe und rechnete. «Die Gnade Gottes ist dir zuteil geworden. Wenn das Jahr zu Ende geht, wirst du ein Kind bekommen.»
Das Mädchen schrak zusammen. «Ein Kind? Woher?»
«Der Gewandschneider hat seinen Samen in dich gelegt. Daraus formt Gott, der Herr, nun ein Kindlein in deinem Bauch. Im Winter wird es fertig sein.»
«Ein … ein Kind?», stammelte das Mädchen erneut und sah verstört zum Pfarrhaus.
«Du musst keine Angst haben. Ich werde dir helfen, es zur Welt zu bringen.»
Das Mädchen starrte die Hebamme mit großen, schreckgeweiteten Augen an. Dann begann ihre Unterlippe zu zittern, ihre Hände, die Füße, schließlich das ganze Mädchen, als habe sie ein grässlicher Schüttelfrost befallen.
Da nahm die Hebamme das Mädchen am Arm und führte sie in ihr Häuschen, in dem es nach Kräutern aller Art roch. Sie setzte das Mädchen auf eine Truhe, die mit Schaffellen belegt war.
«Ich koche dir einen Trank aus Baldrian», sagte die Hebamme, nachdem sie dem Mädchen kurz die Hand auf die Stirn gelegt hatte. «Bleib hier sitzen oder lege dich hin und atme ganz ruhig.»
Das Mädchen starrte noch immer auf die Frau und zitterte, sprach jedoch kein Wort dabei. Erst der heiße Trank beruhigte sie.
Die Hebamme hatte sich wieder neben sie gesetzt. «Ein Kind also», sprach sie. «Freust du dich darauf?»
Das Mädchen starrte und zitterte. Die Hebamme griff vorsichtig nach dem Schnupftuch, welches sie im Kleiderärmel aufbewahrte. Doch plötzlich überzog ein Lächeln das Gesicht des Mädchens. «Ein Kind», flüsterte sie. «Ein Kind für mich allein.»
Die Hebamme atmete auf. «Ja. So ist es. Ein Kind, welches allein nicht leben kann und eine Mutter braucht, die sich gut um es kümmert.»
«Ein Kind für mich allein. Niemand darf es mir wegnehmen», erwiderte das Mädchen.
«Wenn du gut dafür sorgst.»
«Niemand darf es mir wegnehmen. Es gehört mir ganz allein. Es wird immer bei mir sein. Immer.»
Die Hebamme fasste nach der Hand des Mädchens. Behutsam und leise sprach sie: «Ein Mensch kann keinem anderen gehören. Man gehört immer nur sich selbst und Gott. Mit diesem Kind ist dir seine Gnade zuteil geworden, aber es gehört dir nicht. Verstehst du mich?»
Das Mädchen nickte und wiederholte dumpf: «Ein Kind für mich allein.»
Da schwieg die Hebamme und saß still neben dem Mädchen, welches sich lächelnd und mit glänzenden Augen die Hand auf den Bauch legte. Erst als der Pfarrer rief, stand das Mädchen auf und fragte ein letztes Mal: «Ist es wirklich ein Kind? Nicht der Teufel?»
«Ein Kind ist es. Ich glaube nicht, dass der Teufel in dir steckt.»
Beim Abendmahl fragte der Pfarrer: «Was grinst du die ganze Zeit so? Was ist in dich gefahren?»
«Die Gnade Gottes», erwiderte das Mädchen.
Der Pfarrer runzelte die Stirn. «Red keinen Unfug, sonst muss ich dich stärker züchtigen.»
Das Mädchen schlug die Augen nieder. «Ist es unmöglich, dass mir die Gnade Gottes zuteil wurde?», fragte sie leise.
«Es ist
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