Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Galgentochter

Galgentochter

Titel: Galgentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
Vom Netzwerk:
schluckte. «Amedick ist einflussreich. Voss hat versucht, Amedick zu entgehen. Nun ist er tot. Amedick hat in der ganzen Stadt herumerzählt, der Gewandschneider Voss würde betrügen, würde billiges für teures Tuch verkaufen. Die Leute glaubten Amedick und mieden Voss. Der musste immer neue Kredite aufnehmen, um seinen Laden zu erhalten. Kein Wunder, dass er tot ist, der Mann. Manch anderer an seiner Stelle hätte sich auch das Leben genommen.»
    Die Rede des Mannes hatte den Richter wütend gemacht. Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, dass der Gewandschneider zusammenzuckte. «Warum habt Ihr Euch nicht zusammengetan und dem Rat gemeldet, welche Machenschaften Amedick verübt?»
    Der Gewandschneider senkte den Kopf, murmelte etwas.
    «He?», schrie der Richter, legte eine Hand hinter sein Ohr. «Ich verstehe Euch nicht. Was habt Ihr gesagt?»
    Der Mann sah auf, knetete sein Barett in den Händen. «Was hätte ich denn tun sollen, Herr? Ein Einzelner ist schwach.»
    Wieder schlug der Richter mit der Hand auf den Tisch, wieder zuckte der Gewandschneider zusammen. «Zusammenschließen müssen hättet ihr euch! Einfach zu feige wart ihr!»
    Er stand auf, lief zum Fenster, starrte hinaus, die Hände auf dem Rücken. Eine Weile stand er so, bis der Gewandschneider vorsichtig anfragte: «Kann ich gehen, Herr Richter?»
    Blettner wedelte mit der Hand, der Mann stand auf und verließ die Amtsstube. Der Richter blieb am Fenster und schwieg, doch plötzlich befahl er: «Schreiber, notiere: Der Zunftobere Amedick hat sich des Betruges schuldig gemacht. Ich schlage deshalb dem Hohen Rat vor, den Amedick mit einem Eisenstab durch die Backen zu brennen als Strafe für sein Vergehen. Des Weiteren wird er danach mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt. Die anderen Gewandschneider aber, die sich ebenfalls am Betrug beteiligt haben, sollen jeder zehn Gulden in die Armenkasse geben. Hast du das, Schreiber?»
    «Ja, Herr. Aber sind zehn Gulden keine zu geringe Strafe für die anderen? Gehören nicht auch sie gebrandmarkt?»
    Der Richter fuhr herum. «Wie stellst du dir das vor, Tölpel? Sollen wir alle Gewandschneider in Frankfurt durch die Backen brennen? Wir sind eine Reichs- und Messestadt! Wie stehen wir da, wenn die Messegäste kommen? Überlege selbst, Holzkopf!»
    Der Schreiber duckte sich. Er hatte den Richter noch nie so wütend erlebt. «Ihr habt recht, Herr», stammelte er und setzte den Federkiel aufs Papier.
    Der Richter aber schüttelte den Kopf. «Sie sind allesamt am Tod des Voss mitschuldig», sagte er. «Und das Schlimme ist, sie begreifen es nicht einmal.»
    Dann sah er hoch. «Notiere weiter: Alle Gewandschneider werden dazu verurteilt, je zehn Seelenmessen für Voss in der Liebfrauenkirche, die auch die Zunftkirche ist, lesen zu lassen. Der Inhalt der Zunftlade wird ebenfalls eingezogen und an die Armen verschenkt.»
    Als der Schreiber fertig war, entschuldigte sich der Richter dafür, dass er ihn Holzkopf und Tölpel genannt hatte, und hieß ihn in der Ratsschenke einen Krug Wein auf seine Rechnung trinken. Dann stellte er sich, obwohl die Kirchenglocke zu Mittag läutete, an das Schreibpult, verfasste eigenhändig ein Schreiben an die Syndici, welches er sogleich zustellen ließ, und schickte einen Boten, der Amedick zum Verhör holte.
     
    Am Donnerstag stimmte der Rat Richter Blettners Urteilen in Bezug auf Zunftmeister Amedick und die Gewandschneider zu. Die Syndici indes waren noch nicht zu einem Urteil über den Tod des Voss gelangt.
    Am Donnerstagnachmittag ritten die Büttel durch die Straßen der Stadt und verkündeten, dass am nächsten Morgen auf dem Römerberg der Zunftmeister Amedick an Haut und Haaren bestraft würde, nämlich mittels Brennen durch die Backen.
    Am Freitagmorgen wimmelte der Platz von Menschen. Neben der Eingangstür zum Römer waren zwei Eisenringe in die Wand gelassen, an der zu festgelegten Tagen Verurteilte stehen und den Schimpf der Bürger über sich ergehen lassen mussten. So manch einer von ihnen wurde mit dem Inhalt von Nachttöpfen begossen, angespuckt,mit faulen Eiern oder sonstigen Drecksdingen beworfen. Er wurde Drecksstück, Hurensohn, Spitzbube oder Haderlump gescholten und hernach von den Straßenjungen verspottet.
    Seit Jahren aber hatte keiner von der Ratsbank im Halseisen gestanden und war öffentlich gerichtet worden. Stumm standen die Leute, starrten auf das leere Eisen. So mancher bekreuzigte sich. Da rief die Vossin, die ganz vorn stand:

Weitere Kostenlose Bücher