Galgentochter
Lehre in Frankfurt einzuführen, meinen die Gesellen, jetzt stünden ihnen die Plätze auf den Ratsbänken zu.»
«Seit wann kümmert dich die Politik?», dröhnte eine Stimme hinter ihnen. Gustelies und Hella fuhren herum. Jutta Hinterer lachte ihnen ins Gesicht, das lange rote Haar, sonst gänzlich von einer Haube bedeckt, fiel heute frisch gewaschen ihren Rücken hinab. Obenauf thronte die Sonntagshaube.
«Du siehst aus wie ein Törtchen mit Sahneguss», stellte Gustelies fest.
Die Geldwechslerin kicherte. «Einfach lecker, nicht wahr? Da läuft den Männern das Wasser im Munde zusammen.» Sie griff mit einer Hand nach oben, richtete die Haube. «Wenn Frankfurts schönster Mann gebrandmarkt wird, ist es mir doch eine Ehre, mich dafür besonders hübsch zu machen.»
Gustelies schüttelte den Kopf, Hella lächelte. «Auch du hast deinen Anteil daran, dass er jetzt gleich im Halseisen steht.»
Jutta Hinterer nickte kräftig. «Und ob ich das habe! Und jetzt wollen wir doch mal sehen, ob unser Schönling ein ganzer Kerl ist oder beim ersten Kratzer schon heult wie ein Weib.»
«Ihr seid herzlos, Hintererin», stellte Hella fest.
Die Geldwechslerin blies die Backen auf. «Ich bin nicht herzlos. Die Männer sind es, die kein Herz haben. Die folgen nur ihren Gelüsten. So, Ruhe jetzt. Es geht los. Ich will nichts verpassen.»
Die Stadtschergen stellten Amedick in das Halseisen, ließen Hände und Füße des Mannes in Stricken stehen. Der wehrte sich, bäumte sich auf, machte sich steif wie einKind. Da hob der eine Scherge die Faust und ließ sie in das Gesicht des Zunftmeisters krachen. Dem schoss gleich das Blut aus der Nase.
«Iiih», machte Jutta. «Da könnt ihr ihn sehen, den Schönling. Obwohl er einen hübschen Hintern hat, hat er keinen Arsch in der Hose.» Sie verstummte, lauschte ihren Worten nach und prustete dann los. «Habt ihr gehört, was ich gesagt habe? Einen hübschen Hintern, aber keinen Arsch in der Hose.» Die Hintererin konnte sich gar nicht wieder beruhigen. Hella lächelte ein wenig, dann sah sie erneut nach vorn. Amedick hatte die Augen geschlossen, hing kraftlos im Halseisen.
Gustelies raunte ihr zu: «Sieh, wie er sich schämt. Er kann den Leuten gar nicht ins Gesicht sehen. Die Reue hat ihn im Griff. Hach!»
Hella sah ihre Mutter von der Seite an. Gustelies stand mit gefalteten Händen und blickte mit glänzenden Augen auf den Mann, der ihr geschmeichelt und die Hand geküsst hatte. Hella schüttelte, peinlich berührt und schuldbewusst zugleich, den Kopf.
Schon verlas der Richter dem Volk das Urteil und ließ es vom zweiten Bürgermeister bestätigen. Dann brachte der Stöcker das Kohlebecken, in dem die Glut fußhoch stand. Der Scharfrichter zog sich einen Lederhandschuh über, öffnete die lederne Rollmappe mit seinen Arbeitsinstrumenten, musterte die Wangen des Zunftmeisters und wählte dann einen Stab, der beinahe fingerdick war.
Als das die Leute sahen, ging ein Raunen durch die Menge.
«Habt Erbarmen mit ihm», schrie eine Frau, die jeder als die Zunftmeistergattin erkannte. «Habt Erbarmen. Der Mann hat Frau und Kinder.»
Auf Knien rutschte sie zum Scharfrichter. Der gab mit dem Kopf dem Stöcker ein Zeichen, woraufhin der die Frau auf die Füße zog und sie grob zurückstieß.
«Recht so», schrie die Vossin in der ersten Reihe. «Er hat mit seinen Machenschaften den Meinen zu Tode gebracht. Henker, nimm den dicksten Stab, den du hast.»
«Jawohl!», schrie eine andere, deren Mann zu zehn Gulden Strafgeld und zehn Seelenmessen verurteilt worden war. «Unglück hat er gebracht über alle Gewandschneider Frankfurts. Unglück über die ganze Zunft. Quäl ihn tüchtig, Henker. Blut will ich spritzen sehen.»
«Recht so!», schrie eine Dritte, hob den Arm und schleuderte den Inhalt eines Nachttopfs auf den Mann im Halseisen.
Eine Vierte trat sogar auf ihn zu und versetzte ihm eine gewaltige Maulschelle, doch da schritt der Henker ein. Er fasste die Frau mit seiner behandschuhten Hand fest am Arm, sprach laut: «Wollt Ihr meine Arbeit machen, Weib? Wollt Ihr ab heute das Schwert führen und den Eisenstab zum Glühen bringen? Nur zu.» Er hielt der Frau den Stab hin, doch sie riss sich los, spuckte dem Amedick noch einmal ins Gesicht und floh dann in die Menge.
Die Menschen johlten. Sie waren heute Morgen hier zusammengekommen, um sich zu ergötzen. Sie wollten etwas erleben und begrölten und beklatschten jeden, der sich hervortat.
«Gebt es dem Kerl!», jubelte die
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