Galgentochter
unmöglich!», donnerte der Pfarrer. «Du bist sündig wie die Hölle. Noch immer bist du das. Der Teufel spuckt aus jeder deiner Poren. Es wird noch dauern, bis er ganz und gar ausgetrieben ist.»
An diesem Abend versetzte der Pfarrer dem Mädchen die doppelte Anzahl von Schlägen, ließ sie zweimal das Vaterunser beten. Dann steckte er sie in das Tugendhaus und schnürte sie so fest, dass sie beinahe erstickte. In der Nacht lag sie schlaflos. Sie konnte ob des Lederleibchens kaum einen Atemzug tun. Sanft strich sie über ihren Bauch, der ebenfalls ganz von Leder bedeckt war. Plötzlich fragte sie sich, ob das Kind in ihrem Leib ebenso schwer atmen musste wie sie. Ganz heiß wurde ihr bei diesem Gedanken, und danach eiskalt.
«Mein Kind darf nicht ersticken», flüsterte sie. Sie stand auf, versuchte mit den Händen nach den Schnüren auf ihrem Rücken zu greifen, den Knoten aufzuziehen, das Tugendhaus zu lockern. Schweiß brach ihr aus, ihre Arme schmerzten, doch es gelang nicht. Zwar bekam sie die Schnüre zu fassen, aber es war ganz und gar unmöglich, den Knoten zu lösen. Weinend vor Angst sank sie endlich in den Schlaf.
Am nächsten Tag dachte sie fortwährend an das Kind in ihrem Leib. Zwar hatte der Pfarrer gesagt, es sei unmöglich,dass ihr Gottes Gnade angetan wurde, aber sie wünschte sich dieses Kind so sehr, dass sie glauben wollte, was die Hebamme gesagt hatte. Wieder war ihr übel, wieder erbrach sie sich.
Am Abend, als der Pfarrer sie einschnürte, fiel sie um, kaum dass die Hälfte der Arbeit getan war. Sie täuschte eine Ohnmacht vor, blinzelte zwischen den Lidern, sah den Pfarrer in eiliger Geschäftigkeit die Stube durchqueren, nach Wasser gehen und Riechsalz herbeischaffen. Es dauerte, bis das Mädchen aus seiner scheinbaren Ohnmacht erwachte. Der Pfarrer tätschelte ihr die Wangen. «Es scheint, ich habe den Teufel beim Genick gepackt», sagte der Mann, half dem Mädchen sich aufzurichten und schnürte das Mieder erneut, aber weniger fest.
In den nächsten Tagen klagte sie über Müdigkeit, erledigte ihre Arbeit nachlässig, versalzte die Suppe. «Verzeiht mir, mein Herr. Bitte verzeiht mir. Das lederne Mieder, es lässt mich nicht schlafen. Am Tag bin ich so elend, dass ich nichts zustande kriege.»
Der Pfarrer besah die versalzene Suppe, als läse er darin das Evangelium. Schließlich kam er zu der Entscheidung: «Der Teufel schickt dir diese Müdigkeit.»
Das Mädchen schüttelte den Kopf, sank vor dem Pfarrer auf die Knie: «Nicht der Teufel, Herr, ich fühle es. Er steckt nicht in mir. Lasst das Tugendhaus, ich will dafür des Nachts in der Kirche auf dem Steinboden neben dem Altar schlafen. Ihr sagt selbst, dass der Teufel das Weihwasser scheut.»
Das Mädchen wusste, dass der Pfarrer die Bequemlichkeit sehr liebte. Die Nächte auf dem harten Kirchenboden zu verbringen sollte ihm schlimmer erscheinen als das Tugendhaus. Sie hatte sich nicht getäuscht.
Nach dem abendlichen Vaterunser führte der Pfarrer das Mädchen in die Kirche, wo er eine alte Decke auf die Steinplatten vor dem Altar legte. Am nächsten Morgen war das Mädchen voller Tatkraft. Als der Pfarrer seinen morgendlichen Gerstenbrei verschlungen hatte, sank das Mädchen vor ihm auf die Knie, umfasste seine Unterschenkel. «Ich danke Euch, mein Herr. In der Kirche war es gruselig. Fledermäuse, Boten des Teufels, strichen umher, streiften auch mein Haar. Ich habe gespürt, wie der Satan nach mir griff. Aber vor dem Altar war ich sicher. Mein Rücken schmerzt, meine Knochen sind ganz steif, aber in mir ist eine himmlische Ruhe und Heiterkeit. Ihr, mein Herr, tatet gut daran, mich in die Kirche zu stecken.»
Der Pfarrer, dem es jetzt auch so schien, als wäre die Kirche sein Einfall gewesen, strich dem Mädchen über den Kopf.
«Der Teufel ist noch so lange in dir, wie du lüsterne Gedanken hast. Der Satan hat den Samen der Wollust in das Weib gelegt. Wir müssen ihn täglich neu bekämpfen.»
Von nun an schlief sie jeden Abend in der Kapelle neben dem Altar. Die Fledermäuse machten ihr bald keine Angst mehr. Tagsüber gab sie sich fromm und heiter, mühte sich mit den Lese- und Schreibübungen ab, an denen ihr wenig lag. Sie versuchte, den Pfarrer durch gute Stimmung und bestes Essen bei Laune zu halten. Jedoch musste sie trotzdem jeden Abend nach dem Essen zu ihm ins Arbeitszimmer kommen.
Die Monate vergingen. Im Sommer pflegte das Mädchen den Garten, im Herbst erntete sie. Dann fiel der erste Schnee. Eines
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