Galgentod
studiert in Tübingen – nicht weit genug weg von zuhause. Jedes Wochenende kommt sie und sorgt für Streit. Mein Sohn ist ein totaler Technik-Freak. Ständig drückt er mir etwas Neues aufs Auge.« Dabei zog Schnur ein Mobiltelefon aus seiner Hemdtasche. »Hier, so ein Gerät mit Touch-Screen! Und Apps! Ich habe nicht den leisesten Schimmer, was ich damit machen soll.«
»Telefonieren?«, überlegte Andrea.
»Danke für den Tipp!«
»Du hast dich nicht verändert.« Andrea lachte.
»Und du hoffentlich auch nicht«, entgegnete Schnur. »Arbeitest du jetzt in meiner Abteilung oder wurdest du mir nur für die SokoLehrer zugeteilt?«
»Meinem Antrag, in deine Abteilung zu kommen, wurde sofort stattgegeben. Es sieht so aus, als gebe es bei dir die große Massenflucht.« Andrea grinste verschmitzt.
»Nichts ist so schlimm, wie es aussieht«, wehrte sich Schnur. »Ein Kollege ist mit seinem Durchlauf durch die Abteilungen noch nicht fertig. Ein anderer hat sich selbst seinen Rausschmiss besorgt. Und Anke Deister arbeitet zurzeit im Ausland.«
»Oh!«
Das Gespräch der beiden wurde durch die Ankunft der anderen Kollegen unterbrochen. Es dauerte nicht lange, schon waren alle Plätze in dem großen Saal besetzt und weitere Stühle wurden hereingetragen.
Staatsanwältin Ann-Kathrin Reichert betrat in Begleitung von Kriminalrat Dieter Forseti den Saal ganz zum Schluss. Gemeinsam setzten sie sich in die Menge hinein, eine Geste, die von allen mit Erstaunen beobachtet wurde.
Schnur beherrschte sich, weil ihm die das Verhalten seiner Mitarbeiter nicht entging. Ann-Kathrin war in eine angeregte Unterhaltung mit Forseti vertieft, weshalb sie davon nichts mitbekam.
»Liebe Kollegen! Für alle diejenigen unter uns, die unsere neue Mitarbeiterin noch nicht kennen, stelle ich sie hiermit vor«, begann Schnur die Besprechung, wobei er Mühe hatte, seinen Tonfall neutral klingen zu lassen. Dabei wusste er selbst nicht so genau, was ihn mehr ärgerte: die offen zur Schau getragene Innigkeit zwischen Ann-Kathrin und Forseti oder das Verhalten seiner Leute. Er war sich so sicher gewesen, dass ihr privater Kontakt ein Geheimnis sei. Vermutlich hatte er vergessen, was seine Leute von Berufs wegen machten. Doch bevor er seine Rede vergaß, berichtete er hastig dasselbe, was Andrea vor wenigen Minuten ihm erzählt hatte. Mit einem gebührenden Klopfen auf die Tischplatte wurde sie begrüßt.
Dann begann er mit dem dienstlichen Teil: »Wir haben hier einen Todesfall, der uns eine Menge abverlangen wird. Es gibt nämlich die vermutlich größte Anzahl an Verdächtigen, seit wir Mordfälle aufklären.«
»Was wir dem Hausmeister zu verdanken haben«, gab Esther zum Besten.
»Der gute Mann war nicht auf die Idee gekommen, dass sich nachts Lehrer im Schulgebäude aufhalten könnten.« Damit riss Schnur das Gespräch wieder an sich. »Was mich nämlich zu der Frage führt: Was hat ein Deutschlehrer in der Nacht von Sonntag auf Montag zwischen Mitternacht und zwei Uhr im Schulgebäude zu suchen?«
»Ein Stelldichein mit einer Geliebten?«, spekulierte Andrea.
»Gibt es etwas, was wir über den Deutschlehrer Bertram Andernach wissen?«, fragte Forseti.
»Nein«, antwortete Schnur und fügte an: »Deshalb sitzen wir hier. Wir müssen alles über den Toten herausfinden. Seine Lebensumstände, seine Freunde, seine Feinde, seine Arbeitsmethoden und auch die Möglichkeit, ob er eine Liaison mit einer Kollegin hatte. Das würde erklären, was er zu dieser Zeit in der Schule zu suchen hatte.«
Überall raschelten die Blätter. Die Kollegen schrieben eifrig mit.
»Zurzeit wird die Leiche des Deutschlehrers obduziert«, sprach Schnur nach einer kurzen Pause weiter. »Aber vorweg hat uns der Gerichtsmediziner schon gesagt, dass Bertram Andernach noch gelebt hat, als er am Strick hochgezogen wurde.«
Ein erstauntes Murmeln entstand.
»Das bedeutet eine besondere Grausamkeit«, stellte die Staatsanwältin fest. »Und das schließt wohl einige Verdächtige aus.«
»Richtig«, stimmte Schnur zu. »Ich halte die Schüler im Alter zwischen elf und vierzehn Jahren nicht für fähig einen erwachsenen Mann auf diese Art und Weise zu töten. Erstens könnte sich der Lehrer gegen sie wehren, und zweitens traue ich Gymnasialschülern in dem Alter eine solche Grausamkeit nicht zu.«
»Fünfzehnjährigen aber schon?«, hielt Anton dagegen.
»Keine Ahnung«, gestand Schnur. »Mein Sohn war mit fünfzehn total harmlos. Meine Tochter hatte in dem Alter
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