Galgentod
sie es geschafft, die Schüler von dem toten Lehrer fernzuhalten und sie in den Schulbus zu locken, bevor die Kleinen erfahren konnten, dass an diesem Tag eigentlich schulfrei war. Typisch.
Aber warum regte er sich auf?
Sie hatte ihn nicht erkannt – hatte ihn einfach aus dem Gedächtnis gestrichen, wie damals, als es um seine Versetzung ging. Es wäre ein leichtes für sie gewesen, Fred Recktenwald zum Abschluss der Mittleren Reife zu verhelfen. Nur einige Nachhilfestunden. Aber Mathilde Graufuchs hatte ihn ausgelacht und gemeint, mit ihm wolle sie nicht ihre Zeit verplempern. Fred Recktenwald sollte jeder schleunigst aus dem Gedächtnis streichen . Das waren ihre Worte gewesen.
Und so hatte er das Gymnasium ohne Abschluss verlassen.
Mathilde Graufuchs hatte sich schon immer für etwas Besseres gehalten. Vor allen Dingen damals, als Fred Recktenwald ihr Schüler war und wieder einmal etwas nicht wusste.
Nur an diesem Tag nicht.
Mit überzeugender Selbstsicherheit trug Fred Recktenwald sein Wissen vor: »Die Teufelsburg wurde als Kampfburg zur Verteidigung gebaut. Hier seht ihr einen Turm, der nach Westen zeigt. Demnach wurde dieser Turm auch Westturm genannt. Er wurde mit einer Schleuderschießscharte ausgestattet, eine damals sehr wirksame Waffe, um den Feind von der Burg fernzuhalten.« Staunen ging durch die Menge der Schüler. »Auffallend ist, dass dieser Turm schon im Fundament keine Mauern aufzeigt. Es wird vermutet, dass durch den Bau der Verbindungsstraße der größte Teil des Turms vernichtet worden ist, was bedeutet, dass diese Verbindungsstraße später gebaut worden ist.« Fred empfand sich selbst als sehr professionell, während er all seine Kenntnisse vortrug. Und die Schüler zollten ihm gebührenden Respekt, was ihm guttat, während Mathilde Graufuchs neben ihm kochte vor Wut.
»Was ist eine Verbindungsstraße?«, fragte ein Junge.
»Diese Verbindungsstraße sollte damals die beiden Burgteile sowie die verlängerte Talzufahrt innerhalb des Burggeländes miteinander verbinden.«
»Heißt das, dass diese Verbindungsstraße nicht aus der Burg herausführte?«
»Genau das.«
»Woran kann man das feststellen?«
»Ganz einfach: Diese Straße hat keine Wehr- und Abwehranlagen, um das Burggelände vor Eindringlingen zu schützen. Sie ist also ungeschützt. Weiterhin passiert die Verbindungsstraße die Zisterne, die wohl kaum außerhalb des Burggeländes gelegen haben kann, weil das die zentrale Wasserversorgung für alle auf der Burg lebenden Menschen war. Hinzu kommt, dass der Wehrturm eine direkte Verbindung zu dieser Straße hat, was nicht möglich wäre, würde diese Straße nach draußen führen.«
Keine Antwort war er den Kindern schuldig geblieben. Und doch hatte Fred Recktenwald gespürt, wie Mathilde Graufuchs ihn beobachtet – ja belauert hatte. Ständig war sie auf der Suche nach etwas, um ihn zu kompromittieren. Wenn sie nichts fand, erfand sie einfach etwas, womit sie ihn bei seinem Vortrag pausenlos unterbrach. Sogar die Geschichte der Teufelsburg wollte sie besser kennen als er.
Aber das würde er niemals zulassen. Zu sicher war er sich inzwischen, dass er es besser wusste, weil er alles auswendig gelernt hatte.
Er hatte ihr widersprochen, was ihm vor dreißig Jahren im Gymnasium nicht eingefallen wäre. Vielleicht hatte sie ihn deshalb nicht erkannt.
Oder hatte ihre Methode, ihn aus dem Gedächtnis zu streichen, tatsächlich funktioniert?
Seine Füße trugen ihn beschwingt nach Hause. Es war ein guter Tag. Erst der Deutschlehrer mit heruntergelassener Hose. Dann die Geschichtslehrerin mit vor Staunen offenstehendem Mund. Diese Bilder wollte Fred im Gedächtnis behalten.
Er passierte Picards Neubeugebiete in der Gisinger Straße und Auf der Kleinwies , bis er von der Rückseite an sein Grundstück gelangte. Undurchdringliche Hecken rahmten sein Haus ein, so dass es auch von dieser Seite nicht zu sehen war. Nur er wusste, wo er zwischen den dornigen Ästen hindurchschlüpfen musste, um sein Haus zu erreichen. Wie ein Dieb sicherte er sich ab, dass ihn niemand beobachtete. Erst dann verschwand er blitzschnell im grünen Dickicht. Es machte ihm jedes Mal kindlichen Spaß, sein Eigenheim über diesen Weg zu betreten. Er liebte es, unerkannt zu leben. Und dieses alte Haus, das er von der Stadt Saarlouis für einen geringen Preis gemietet hatte, bot sich geradezu dafür an. Niemand kümmerte sich um diese Ruine, weil vermutlich niemand im Dorf wusste, dass sie noch
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