Galgentod
existierte.
In Picard aufgewachsen, wusste er genau, wie neugierig die Leute sein konnten. Deshalb war ihm jedes Mittel recht, so unerkannt wie möglich dort zu leben. Und wo ging das besser als in diesem versteckten Häuschen, das sogar die Stadt Saarlouis vergessen hätte, wäre er nicht auf sie zugegangen, um es für wenig Geld zu mieten. Als Kind war er oft zusammen mit Linus Kalkbrenner zu dem verlassenen Haus gegangen. Sie hatten es das Hexenhaus genannt und sich stets davon magisch angezogen gefühlt. Und diese Anziehungskraft übte das Haus heute noch aus. Fred konnte sich das nicht erklären. Aber das störte ihn nicht. Er schätzte sich einfach nur glücklich, heute in diesem Haus wohnen zu können.
Er stieg die wenigen Stufen zu seiner Veranda hoch, die notdürftig mit dicker Pappe eingerahmt war. Sein Refugium ließ an Luxus zu wünschen übrig. Die Toilette bestand noch aus dem klassischen Donnerbalken. Immer wenn er auf seiner verfallenen Veranda saß, fiel sein Blick auf den stillen Ort. Mehr Sicht gaben die Bäume und Sträucher nicht frei, weil sie von Jahr zu Jahr dichter zusammenwuchsen. Aber das störte ihn nicht. Im Gegenteil. Sie vermittelten ihm das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit.
Zufrieden betrat er seine Haushälfte. Die andere Hälfte hielt er für Linus frei. Der Gedanke erfüllte Fred mit Glückseligkeit. Er liebte es, wenn er anderen auch eine Freude machen konnte. Linus war in der Schulzeit sein Schutzengel gewesen. Er hatte ihn immer vor den Anfeindungen der anderen zu bewahren versucht. So etwas vergaß Fred nicht. Niemals. Obwohl Linus schon vor langer Zeit weggezogen war, weil er in Rüsselsheim eine Arbeit gefunden hatte – er hielt für ihn die andere Haushälfte bereit.
Linus hatte die Angewohnheit, sporadisch immer mal wieder bei ihm aufzutauchen. Und seit die Opelwerke in Rüsselsheim ihn entlassen hatten, kam er noch häufiger, wenn auch griesgrämiger und mürrischer. Das änderte aber nichts daran, dass er bei Fred stets willkommen war.
Neugierig warf er einen Blick nach nebenan. Dort lag alles still und verlassen. Zuhause war er also nicht. Schade. Fred wollte ihn so viel fragen.
Seine untere Etage war schön aufgeräumt. Den alten Küchenschrank aus Kirschbaumholz hatte er mit Holzpolitur ordentlich gepflegt, er sah wie neu aus. Die Vorbesitzer hatten alles achtlos zurückgelassen und dem Verfall preisgegeben. Fred wusste das zu schätzen, denn nur so kam er zu einem möblierten Haus. Also steckte er viel Liebe und Mühe in die Pflege der alten Möbel. Sogar Parkettboden lag im hinteren Raum. Den hatte er so gut es ging repariert. Auch wenn vereinzelte Holzdielen sich nach oben wölbten, war er mit seinem Ergebnis hochzufrieden.
Er ließ sich auf der Couch nieder und blätterte in der Zeitung. Kein Wort stand dort über den toten Lehrer – eine Tatsache, die ihn aufheiterte. Bertram Andernach war noch nicht einmal eine Sonderausgabe wert. Als nächstes wagte er den Versuch, ob das Fernsehen mehr über den toten Lehrer zu berichten wusste. Er schaltete den alten Flimmerkasten ein, dessen Empfang durch die viel zu alte Antenne auf dem Hausdach schlecht war. Das Bild war abwechselnd in Farbe und Schwarzweiß. Die Bildqualität war ihm aber egal, weil sein Interesse an Fernsehen nicht über die Nachrichten hinausging.
Dort handelten sämtliche Berichte vom Max-Planck-Gymnasium und dem toten Lehrer. Sogar der Erhängte wurde gezeigt, ein Foto, das Fred erschreckte. Durch die Lautsprecher des Fernsehers ertönte: Die Polizei tappt im Dunkeln.
Die Aussage gefiel Fred.
Kapitel 14
»Was sollte das, in meiner Besprechung Forseti den Rücken zu stärken?«, ertönte Schnurs Stimme laut und deutlich aus seinem Büro.
Esther wollte gerade anklopfen und mit ihrer tollen Neuigkeit reinplatzen. Doch diese Worte ließen sie stoppen. Der Zeitpunkt war wohl nicht günstig.
»Habe ich es immer noch nötig, mich von dem Hessen in die Schranken weisen zu lassen?«
Schnurs Wut drang deutlich bis in den Flur hindurch.
Nur wer war der Angesprochene?
Gegen jede Vernunft blieb Esther stehen und lauschte.
»Oder bin ich der einzige, der nicht kapiert, was los ist?«
»Was soll das heißen?«
Das war eindeutig die Stimme der Staatsanwältin Ann-Kathrin.
Esther grinste. Hatten die beiden schon ihren ersten Ehekrach?
»Dass dich vermutlich mit Forseti mehr verbindet, als ich mitbekomme«, präzisierte Schnur seine Aussage.
»Du hast nicht das Recht, Anforderungen an
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