Galgentod
waren auf dem Rücken zusammengebunden. Das Gesicht des Toten zeigte deutlich, dass er durch Ersticken gestorben war und nicht durch Genickbruch. Die Augen quollen heraus, ebenso die blau angelaufene Zunge.
»Der Mann heißt Bertram Andernach und war hier an der Schule Oberstudienrat für die Fächer Deutsch und Politik«, klärte Barthels auf.
Eine Weile standen alle Polizeibeamten nur da und bestaunten die Zurschaustellung des Toten, bis Schnur sich räusperte und meinte: »Selbstmord können wir wohl ausschließen. Er wird sich wohl kaum selbst wie an einem Flaschenzug in diese Höhe gezogen haben.«
»Noch dazu mit auf dem Rücken gefesselten Händen und runtergelassenen Hosen«, ergänzte Erik.
»Hier wurde auf keinen Fall versucht, uns einen Selbstmord aufzutischen.«
»Wir haben es mit einem Mörder zu tun, der für klare Verhältnisse sorgt«, bemerkte Erik dazu.
»Dann wollen wir mal zusehen, dass wir das auch schaffen und den Kerl drankriegen«, murrte Schnur. »So viel Kaltschnäuzigkeit verdirbt mir die Laune.«
»Sollen wir mit der Arbeit beginnen?«, fragte Barthels.
»Habt ihr schon Polizeifotos gemacht?«, vergewisserte sich Schnur zuerst.
Die Gesichter, die er als Antwort zu sehen bekam, verstand er nicht.
»Na ja! Wir habe unsere Fotos gemacht, wie immer«, rückte Barthels endlich mit der Sprache heraus. »Aber von diesem Toten wird es mehr Fotos geben als von Madonna auf Konzertreise.«
»Hä?«
»Viele der Schüler haben gefilmt und fotografiert. Der Hausmeister konnte sie nur mit Mühe davon abhalten, die Knoten zu öffnen und den Toten herunterzulassen.«
»Das hört sich wirklich übel an«, gestand Schnur. »Warum lässt der Hausmeister die Kinder so dicht an den Toten?«
»Weil die Kinder den Toten vor dem Hausmeister gefunden haben …«
»Scheiße! Warum muss ich mit meinen schlechten Vorahnungen immer Recht haben?«, schimpfte Schnur und fügte brummend an: »Ich glaube, ich muss den Herrn mal an seine Pflichten erinnern.«
»Dem geht es nicht so gut.« Barthels lachte. »Die Schüler stecken so einen Anblick besser weg als der Hausmeister. Er sitzt im Bistro auf dem Schulhof. Dort erholt er sich von dem Schreck.«
Der Hof wimmelte von jungen Menschen. Der Lärm war ohrenbetäubend. Jürgen Schnur schob sich durch die Menge, wobei ihn fragende Blicke trafen. Erik folgte ihm und beobachtete das Schauspiel. Diese jungen Leute wirkten auf ihn aufgeklärter, als er selbst es zu seiner Schulzeit gewesen war. Sie schwangen Handys und große Reden. Jeder versuchte im Mittelpunkt zu stehen. Die Tatsache, dass hier ein Lehrer getötet worden war, schien keinen sonderlich zu treffen.
Wenn Erik über seine eigene Schulzeit nachdachte, konnte er sich an keinen einzigen Lehrer erinnern, der ihm oder seinen Schulkameraden sympathisch gewesen wäre. Daran hatte sich wohl nicht viel geändert. Oder wie sonst konnte er sich das pietätlose Verhalten der Schüler erklären?
Sie gelangten an das Bistro Max-Inn . Dort war die Tür verschlossen. Drin saßen nur zwei ältere Menschen, eine Frau und ein Mann.
Jürgen Schnur hielt seinen Ausweis an die Glasscheibe. Daraufhin öffnete ihm die Frau, die sich als Hilde Probst vorstellte.
Der Raum wirkte kahl und kalt. Die Wände waren gelb, die Theke verschwand hinter einer Glasscheibe und Kunststofftische und -stühle dienten mehr der Zweckmäßigkeit als der Gemütlichkeit. Die wenigen Blumen, die vor der Glasscheibe der Theke standen, wirkten deplatziert. Der Hausmeister saß zusammengekauert an einem der großen Tische in der Nähe der Theke und trank Wasser. Sein Gesicht war gerötet, seine Haut schweißnass.
Schnurs erste Wut auf den Mann verflüchtigte sich bei diesem Anblick. Und nicht nur das. Er bekam Angst um den Hausmeister, der aussah, als stünde er kurz vor einem Schlaganfall.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte er zur Einleitung.
»Nein! Tut mir leid. Aber das war zu viel für meine Nerven«, gestand der massige Mann. »Es ist nicht nur der Anblick von Bertram Andernach, der mir zu schaffen macht. Die Schüler haben sich benommen wie auf einem Jahrmarkt. Diese Scheiß-Handys, dieses Scheiß-Internet. Ich konnte sie nur mit Mühe davon abhalten, den Lehrer herunterzuholen.«
»Warum kamen die Schüler so nah an den Toten heran?«
Jetzt wurde es peinlich. Das Gesicht des Hausmeisters lief dunkelrot an, als er antwortete: »Ich hatte einfach nur aufgesperrt, bin durch die kleine Vorhalle zur gegenüberliegenden Tür, die ich
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