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Galgenweg

Galgenweg

Titel: Galgenweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian McGilloway
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sorgen.«
    »Warum? Er hat Webbs Witwe um dreihundert Euro erleichtert«, sagte ich ein wenig zu schnippisch.
    »Ich denke, da irren Sie sich, Inspector. Jamie würde so etwas nicht tun. Er hat eigens darum gebeten, dass Sie ihm etwas zu essen besorgen. Seine Mission gestattet es ihm nicht zu sündigen. Dazu gehört auch Diebstahl.«
    »Mord auch?«
    »Das hat nichts mit James zu tun, Inspector, das versichere ich Ihnen.«
    »Möglich«, erwiderte ich nicht überzeugt. »Danke für Ihre Hilfe, Reverend.«
    Morgen würde vielleicht ein besserer Tag werden, hatte er gesagt. Keiner von uns wusste, wie trügerisch diese Hoffnung war.

14
    Donnerstag, 10.   Juni
    Am nächsten Morgen wurde ich früh wach. Ich konnte es kaum erwarten, aus dem Haus zu kommen und zumindest eine Sache zu klären, die noch immer offen war: Was hatte es mit James Kerr auf sich? Debbie hatte mit dem Rücken zu mir geschlafen, ihr Körper war angespannt und abweisend gewesen. Beim Frühstück sprach sie nur wenig, und ehrlich gesagt war ich froh, mich mit der Arbeit ablenken zu können. Ich konnte mich nicht dazu überwinden, zuzugeben, dass sie recht hatte und ich in meinem Stolz meine Familie gefährdete. Ich hoffte, wenn ich die Sache mit Kerr zu einem befriedigenden Abschluss bringen könnte, würde ein solches Eingeständnis nicht mehr nötig sein.
    Es war beinahe halb neun, als ich auf der Wache ankam. Ich war der Erste. Die kühle Nachtluft schwand allmählich, und ich spürte bereits die drückende Hitze, die uns bis zum Mittag noch äußerst reizbar machen würde. Ich war froh, Kerr im Freien zu treffen, und sei es auch nur, um den Sonnenschein zu genießen, der im Donegal ein seltener Gast war.
    Nachdem ich um neun Uhr Martha Saunders angerufen hatte, fuhr ich zum Haus an der Gallows Lane, um spätestens um neun Uhr dreißig dort zu sein. Ich wartete im Wagen auf Kerr, rauchte dabei eine Zigarette und hörte Radio. Um viertel vor zehn stieg ich aus, schlenderte hinüber zur Vorderseite des leerstehenden Hauses und spähte durch die Fenster hinein. Dann setzte ich mich auf die Treppe vor der Haustür und rauchte noch eine Zigarette.
    Um viertel nach zehn wurde ich ungeduldig, Schweiß sammelte sich an meinem Rücken. Ich ging ums Haus herum, um nachzusehen, ob Kerr womöglich im Garten auf mich wartete. Was ich dort zu sehen bekam, werde ich mein Leben lang nicht vergessen. James Kerrs Leiche hing am selben Baum, an dem man auch Peter Webbs Leiche gefunden hatte. Nur dass man James Kerr nicht gehenkt hatte. Dreißig Zentimeter lange glänzende Silbernägel waren durch seine Füße an den Baum geschlagen worden; die ausgestreckten Arme waren an die dicksten Äste genagelt; eine Hand hatte sich ein Stück losgerissen. James Kerr war gekreuzigt worden. Der Kopf hing ihm schlaff auf die Brust, die sich aufgrund seiner ausgestreckten Arme vorwölbte. Seine Füße hingen übereinander, es war ein einziger grotesker Anblick.
    Ich suchte nach Lebenszeichen, obwohl ich wusste, dass ich keine finden würde. James Kerr war bereits seit einer Weile tot, seine Leiche kalt und steif, das Gesicht verzerrt und bleich, der dunkle Bartschatten hob sich von der blassen Haut ab. Obwohl seine Füße an den Baum genagelt waren, waren die Beine leicht gebeugt, als wollte er sich hinhocken, und an den Knien fehlten große Stücke Fleisch. Der Mörder hatte James Kerr offenbar die Kniescheiben zertrümmert, um sicherzustellen, dass er rasch starb. Es schien, als hätte Kerrs Mission, denen zu vergeben, die ihn verraten hatten, ihn zu einem ähnlichen Schicksal von Demütigung und Tod verurteilt wie Christus.
    Innerhalb von zwanzig Minuten hatten sich der Großteil der Wache und eine beträchtliche Anzahl Schaulustiger und Sensationslüsterner im Garten und der unmittelbaren Nachbarschaft versammelt. Costello kam schwitzend und außer Atem ums Haus herum zu mir und Williams. Sein Gesicht war dunkelrot, was entweder an der Hitze oder an der Anstrengung lag.
    »Du lieber Gott«, sagte er, als er die Leiche sah, und bekreuzigte sich. »Du lieber Gott, Junge, was haben sie dir angetan?« Er hinkte hinüber zu der Leiche und betrachtete eingehend deren Gesicht, wobei er den Kopf schräg legte, als könnte sich bei eingehender Betrachtung der alte Aberglaube bewahrheiten, dass die Augen eines Sterbenden ein Abbild seines Mörders einfangen. Doch James Kerrs Augen bargen keine solchen Geheimnisse.
    »Himmel, Benedict«, sagte er kopfschüttelnd. Offensichtlich fehlten

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